Stark gereifte Käse – einfach nur würzig oder gar gesundheitsschädlich?

Ein Bericht aus unserem Laboralltag

Renz, Contzen, Friedrich, Kommer

 

Einleitung

Schmuckelement.Während der Käsereifung werden – abhängig von der Art der beteiligten Mikroorganismen - zahlreiche Stoffwechsel- und Abbauprodukte gebildet. So ist seit vielen Jahren bekannt, dass Käsesorten, die einer längeren mikrobiologischen Reifung ausgesetzt sind, hohe Gehalte an biogenen Aminen aufweisen können (Terplan et al., 1973). Dazu gehört insbesondere das biogene Amin Histamin, das von spezifischen Bakterien, insbesondere Enterobacteriaceae, durch eine enzymatische Decarboxylierungsreaktion aus der natürlichen Aminosäure Histidin gebildet wird.

 

Histamin kann bei empfindlichen Personen Krankheitssymptome auslösen. Mögliche Symptome einer Histamin-Intoxikation sind nach Literaturangaben allgemeine Rötung der Haut, Nesselausschlag mit Jucken, Übelkeit (bis zum Erbrechen), Durchfall, Magenkrämpfe, Kopfschmerzen, Schwindel und Sensoriumstörungen, wobei die Inkubationszeit bei einer Histamin-Intoxikation nur relativ kurz ist (30-60 Minuten nach Verzehr belasteter Speisen).

 

Entsprechende Erkrankungsfälle wurden in der Vergangenheit vor allem im Zusammenhang mit dem Verzehr von verdorbenem Thunfischfleisch beschrieben. Fallbeschreibungen, die im Zusammenhang mit dem Verzehr von Käse stehen, gibt es dagegen nur äußerst selten, obwohl insbesondere in lang gereiften Käsesorten eher hohe Gehalte an Histamin zu erwarten sind als in vielen anderen Lebensmitteln. Beispielsweise sind Spitzenwerte von bis zu 2000 mg Histamin je kg Emmentaler beschrieben, wobei Werte von durchschnittlich 200 bis 400 mg/kg Histamin bei dieser Käsesorte nicht unüblich sind (Pechanek et al., 1983). Da viele Menschen derartig belastete Käsesorten jedoch problemlos genießen können, scheinen neben der Histaminkonzentration im Lebensmittel noch andere Faktoren eine Rolle zu spielen, deren Zusammenwirken entsprechende Symptome einer Histaminose nach dem Verzehr bewirken können.

 

Eigene Untersuchungen

Das CVUA Stuttgart ist in Baden-Württemberg Zentrallabor für die Untersuchung von Lebensmittelproben, die im Zusammenhang mit mikrobiologisch bedingten Humanerkrankungen von den Lebensmittelüberwachungsbehörden der Stadt- und Landkreise erhoben werden. Neben der Untersuchung auf potentielle Krankheitserreger wird bei entsprechendem Vorbericht bei Käseproben u.a. auch der Gehalt an biogenen Aminen überprüft.

 

Zumindest in 3 Fällen (1x Camembert, 1x Emmentaler, 1x Allgäuer Bergkäse) war so ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen dem Verzehr von Käsen mit hohen Gehalten an biogenen Aminen und dem Auftreten von Krankheitssymptomen nicht auszuschließen:

 

Fall 1:

Nach dem abendlichen Verzehr eines Käsebrötchens (belegt mit Camembert) traten bei der Konsumentin in der Nacht starker Brechreiz, starke Magenkrämpfe, starke Kopfschmerzen, Schüttelfrost mit Zähneklappern, Schwindelgefühl, Schlappheit sowie anhaltender wässriger Durchfall auf. Der vorgelegte Camembert erwies sich als sehr reif, das Innere begann bereits zu zerfließen. Krankheitserreger waren in der Probe nicht nachweisbar, allerdings fielen hier neben einem eher geringen Gehalt an Histamin (ca. 70 mg/kg) sehr hohe Gehalte an anderen biogenen Aminen auf: Cadaverin: >1000 mg/kg, Putrescin: >300 mg/kg und Tyramin: knapp 400 mg/kg.

 

Fall 2:

Ca. 1 h nach Verzehr eines Emmentalers hatten der Beschwerdeführer und seine Ehefrau Durchfallerscheinungen. Bei der grobsinnlichen Prüfung des Emmentalers wurde von den Sachverständigen des CVUA Stuttgart ein starkes Brennen auf der Zunge und im Rachenraum moniert. Bei dieser Probe war insbesondere ein sehr hoher Gehalt an Histamin mit fast 1000 mg/kg auffällig. Cadaverin war in Höhe von ca. 35 mg/kg nachweisbar, Putrescin und Tyramin lagen unter der Bestimmungsgrenze. Krankheitserreger waren nicht nachweisbar.

 

Fall 3:

Ca. 10 Minuten nach dem Verzehr eines Allgäuer Bergkäses traten beim Beschwerdeführer starke Rötungen der Haut, Kopfschmerzen und jagender Puls auf, später auch Durchfall. Nach dem Ergebnis der grobsinnlichen und mikrobiologischen Untersuchung war die Probe völlig unauffällig. Lediglich eine von vier Prüfpersonen stellte sensorisch ein leichtes Nachbrennen auf der Zunge fest. Ein relativ hoher Gehalt an Histamin mit 500 mg/kg war nachweisbar. Auch der Gehalt an Tyramin war mit fast 400 mg/kg relativ hoch.

 

Schlussfolgerung

Eine Prognose, ab welchen Gehalten an biogenen Aminen in Käse eine Gesundheitsgefahr für den Verbraucher ausgeht, ist nach unserem derzeitigen Kenntnisstand nicht möglich.

 

Bei Fischereierzeugnissen, deren Histamingehalte über 200 mg/kg liegen, ist das Risiko, nach Verzehr an einer Histaminose zu erkranken, bekanntermaßen sehr hoch. Bei der Aufnahme einer Gesamtmenge von weniger als 10 mg Histamin sind hier normalerweise noch keine Intoxikationen zu erwarten. Der toxische Schwellenwert ist bei Normalpersonen im Bereich von 100 mg bei oraler Aufnahme anzusetzen. Da jedoch große Unterschiede in der individuellen Empfindlichkeit gegen biogene Amine bestehen, kann dieser Wert nur als grobe Orientierung angesehen werden. Intoxikationserscheinungen können bei histaminhaltigen Fischereierzeugnissen schon bei weit geringeren Aufnahmemengen auftreten.
Fischereierzeugnisse mit mehr als 200 mg/kg Histamin werden von uns lebensmittelrechtlich als nicht sicher beurteilt und sind damit nicht mehr verzehrs- und verkehrsfähig.

 

Histamingehalte über 200 mg/kg in gereiften Hartkäsen wie Emmentaler oder Bergkäse sind jedoch häufig. Dies hat sich auch bei unseren Untersuchungen gezeigt (Tabelle 1). Demgegenüber stehen nur relativ wenige uns bekannte Fälle, bei denen Symptome einer Histaminose mit dem Käseverzehr in Verbindung gebracht wurden.

 

Unsere Empfehlung an den Verbraucher:

Wenn sich unmittelbar während des Verzehrs eines entsprechenden Lebensmittels Brennen auf Zunge und Rachenraum sowie ggf. ein Jucken im Mundraum zeigt, sollte vom weiteren Verzehr abgesehen werden.
Vor allem Personen, die auf Histamin empfindlich reagieren, sollten vom Verzehr von Hartkäsen - insbesondere aus Rohmilch - absehen.

 

Tabelle 1: Biogene Amine in Käse
(am CVUA Stuttgart gemessene Werte in den Jahren 2003-2012)
Jahr Entnahme-
grund
Warenbezeichnung Cadaverin
mg/kg
Histamin
mg/kg
Putrescin
mg/kg
Tyramin
mg/kg
2003 P Allg.Emmentaler 163 169 104 195
2003 P Bio Emmentaler 150 509 47 51
2003 E Emmentaler n.b. n.b. 23 381
2003 P Emmentaler 91 685 100 278
2003 V Parmesan 76 25 60 67
2004 E Käse i.Salzlake n.b. 6 n.b. n.b.
2004 E Old Dutch Master Käse n.b. n.b. n.b. n.b.
2004 E Cantenaar Käse n.b. n.b. n.b. n.b.
2004 C Cantenaar n.b. 6 n.b. n.b.
2004 C Frico Old Dutch Master n.b. n.b. n.b. n.b.
2006 E Schmelzkäse 11 n.b. 10 36
2006 E Frz.halbfster Schnittkäse Raclette 18 32 128 371
2007 E Butterkäse n.b. n.b. n.b. n.b.
2007 P Pfefferkäse 363 63 193 197
2007 E Frischkäse n.b. n.b. n.b. n.b.
2007 E Frischkäse n.b. n.b. n.b. n.b.
2007 B Ziegenkäse n.b. 9 n.b. n.b.
2008 E Parmesankäse n.b. 24 n.b. n.b.
2008 E Parmesankäse n.b. 78 n.b. n.b.
2008 E Parmesankäse n.b. 48 n.b. n.b.
2008 E Harzerroller n.b. n.b. n.b. n.b.
2008 E Calvados Camembert 1065 74 347 395
2008 N Camembert 978 87 321 318
2009 P Camembert Royal n.b. n.b. n.b. n.b.
2009 P Camembert n.b. n.b. n.b. n.b.
2009 P Camembert Lactosefrei n.b. n.b. n.b. n.b.
2009 P Camembert n.b. 7 n.b. n.b.
2009 P Camembert n.b. n.b. n.b. n.b.
2009 P Camembert Escapade n.b. n.b. 7 n.b.
2009 P Camembert Escapade n.b. n.b. n.b. n.b.
2009 P Grana Padano gerieben 17 1060 n.b. n.b.
2009 P Schw.Weichkäse Cru Blanc n.b. n.b. n.b. n.b.
2009 P Schw.Weichkäse Cru Blanc n.b. n.b. n.b. n.b.
2009 P Ziegen-Camembert n.b. n.b. n.b. n.b.
2009 P Ziegen-Camembert n.b. n.b. n.b. n.b.
2009 P Camembert n.b. n.b. 7 n.b.
2009 P Bio Camembert n.b. n.b. n.b. n.b.
2009 P Bio Camembert n.b. n.b. n.b. n.b.
2009 P Camembert 67 n.b. 7 n.b.
2009 P Weichkäse 1009 n.b. 344 281
2009 P St.Albray frz.Weichkäse n.b. n.b. n.b. n.b.
2009 P President Tortenbrie frz.Weichkäse n.b. n.b. n.b. n.b.
2009 P Frz.Tortenbrie n.b. n.b. n.b. n.b.
2009 P Le Rustique Camembert Weichkäse 660 15 52 n.b.
2009 P L’Ortolan intensement Doux n.b. n.b. 11 n.b.
2009 P Frz.Tortenbrie n.b. n.b. n.b. n.b.
2009 P frz.Weichkäse n.b. n.b. n.b. n.b.
2009 P Camembert 1050 n.b. 256 n.b.
2009 P Camembert n.b. n.b. n.b. n.b.
2009 P Camembert n.b. n.b. n.b. n.b.
2009 P Champignon-Camembert n.b. n.b. n.b. n.b.
2009 P Rahm-Camembert n.b. n.b. n.b. n.b.
2009 P Weichkäse n.b. n.b. n.b. n.b.
2009 P Elsässer Winzerkäse n.b. n.b. n.b. n.b.
2009 P Elsässer Winzerkäse n.b. n.b. n.b. n.b.
2009 P Brie n.b. n.b. n.b. n.b.
2009 P franz. Weichkäse n.b. n.b. n.b. n.b.
2009 P Emmentaler n.b. 10 n.b. n.b.
2009 P Brie n.b. n.b. n.b. n.b.
2009 P Käse Brie n.b. n.b. n.b. n.b.
2009 E Weichkäse m.Blauschimmel n.b. n.b. n.b. 13
2009 E Weichkäse m.Blauschimmel n.b. n.b. 11 77
2009 P Brie n.b. n.b. n.b. n.b.
2009 P Brie n.b. n.b. n.b. n.b.
2009 P Brie n.b. n.b. n.b. n.b.
2010 E Gorgonzola n.b. 50 n.b. n.b.
2010 E Mozzarella f.Pizza n.b. n.b. n.b. 14
2010 E Feta Xenia n.b. n.b. n.b. n.b.
2010 E Feta Xenia n.b. n.b. n.b. n.b.
2010 E Feta Xenia n.b. n.b. n.b. n.b.
2011 E Österreichischer Bergkäse 7 6 69 102
2011 E Österr.Harkäse mit Silofreier Rohmilch n.b. n.b. 8 24
2011 E Österr.Harkäse mit Silofreier Rohmilch n.b. n.b. n.b. 30
2012 E Emmentaler 35 929 n.b. n.b.
2012 E Allgäuer Bergkäse 23 500 169 378

Legende:

B: Beschwerdeprobe (Verbraucherbeschwerde)
C: Vergleichsprobe (zu einer Beschwerde- oder Erkrankungsprobe)
E: Erkrankungsprobe (Lebensmittelproben, die im Zusammenhang mit einer Humanerkankung erhoben werden)
P: Planprobe
V: Verdachtsprobe
n.b.: nicht bestimmbar (<5 mg/kg)

Messunsicherheit der Ergebnisse: ± 9,4% (relative Wiederholstandardabweichung der Methode nach § 64 LFGB L10.00-5)

 

Literatur:

Terplan G, Wenzel S, Groove HH (1973) Wien Tierärztl Mschr 2/3: 46-50
Pechanek U, Pfannhauser W, Woidich H (1983) Z Lebensm Unters Forsch 176: 335-340

 

Bildernachweis

CVUA Stuttgart.

 

Artikel erstmals erschienen am 19.12.2012