Nahrungsergänzungsmittel mit Artischockenextrakt oder „Slim and Slender“ – mit einem „Shot“ zur Wunschfigur?

Ein Bericht aus unserem Laboralltag

Dr. Christiane Lerch

 

So ein Schuss geht am Ziel vorbei: Über Teleshopping und Internet vertriebene Nahrungsergänzungsmittel mit Artischockenextrakt machen nur den Geldbeutel schlanker.

 

Innerhalb der letzten Monate wurden vom CVUA Stuttgart drei verschiedene Produkte untersucht (insgesamt acht Proben), die als „Nahrungsergänzungsmittel mit Artischockenextrakt“ bezeichnet waren. Die flüssigen Produkte werden in Portionspackungen von bis zu 60 ml angeboten.

Bereits durch die Produktbezeichnung selbst und/oder bildliche Darstellungen auf der Verpackung wird eine schlankmachende Wirkung suggeriert – gern verwendet werden Abbildungen von glücklich lächelnden Frauen mit Maßbändern um die schlanken Hüften oder mit viel zu weiten Jeans.

In der weiteren Bewerbung werden in abwertender Weise übergewichtige Personen oder Körperteile dargestellt.

 

Beispielbild.

 

Ein Produkt wird inzwischen auch über große Handelsketten vermarktet!

 

Beispielbild Werbung.Außer in der Kennzeichnung selbst erfolgte die Bewerbung zusätzlich

  • über sog. „Wochenprospekte“, bei denen über einen sog. „QR-Code“ per Handy auf TV-Shopping-Seiten der jeweiligen Einzelhandelskette und/oder auf YouTube-Werbevideos geleitet wird,
  • durch Abspielen von Werbevideos vor Ort und
  • mittels sog. „Displays“, d. h. exponiert positionierter Großgebinde und sonstiger Hinweise wie z.B. „TV-Original“ etc.

 

 

Die Beiträge auf TV-Shoppingkanälen bzw. im Internet sind sehr reißerisch aufgemacht. In Sekundenschnelle schrumpfen übergewichtige Körper – unterlegt mit Werbesprüchen wie „Vergessen Sie quälende Diäten und anstrengende körperliche Betätigung“.
Angebliche „Wissenschaftler“ präsentieren ihre „neuesten Forschungsergebnisse“ – Bei einer Werbesendung wurde es stellenweise absurd: In zwei Pfannen wurde jeweils eine Portion Fett erhitzt – die Zugabe von 60 ml eines „Schlankheitsmittel“ auf Wasserbasis ließ das Fett schneller „verbrennen“.
Mit dem Fettstoffwechsel des Menschen hat diese Darstellung absolut nicht gemeinsam und zeigt einmal mehr die Unseriosität des Anbieters.

Als besonders fragwürdig erscheint auch die Produktplatzierung in regulären TV-Sendungen. In einem Beitrag eines Privatsenders zum Thema „Ewige Schlankheit“ wurde eine übergewichtige Frau beim Verzehr eines eindeutig identifizierbaren Produktes gezeigt.

 

Infokasten

Die Artischocke (Cynara cardunculus, Syn. Cynara scolymus) ist eine distelartige, kräftige Kulturpflanze aus der Familie der Korbblütler (Asteraceae). Die Sortengruppe der Artischocken wird wegen ihrer essbaren knospigen Blütenstände angebaut und als Blütengemüse verzehrt (Quelle: Wikipedia).

Artischockenpräparate gibt es im Handel sowohl als apothekenpflichtige oder freiverkäufliche Arzneimittel als auch als Nahrungsergänzungsmittel. Die Unterschiede ergeben sich hauptsächlich in der Qualität der verwendeten Artischockenextrakte sowie der Höhe der Dosierung (s. Ökotest 2008).

Artischockenextrakte wirken fördernd auf Gallebildung und Gallefluss und werden traditionell zur Behandlung von „dyspeptischen Beschwerden“ (Verdauungsstörungen), gekennzeichnet durch Völlegefühl, Appetitlosigkeit, Blähungen oder Übelkeit eingesetzt. Für Artischockenblätter existiert hierzu eine Positiv-Monographie der Kommission E (Cynarae folium, BAnz-Nr. 122 vom 06.07.88).

Eine „schlankheitsfördernde“ oder gar „schlankmachende“ Wirkung ist wissenschaftlich nicht bewiesen.

 

Die Rechtslage...doch wen kümmert‘s

Nach europäischem Recht handelt es sich bei Angaben, die schlank machende oder gewichtskontrollierende Eigenschaften eines Lebensmittels beschreiben um „gesundheitsbezogene Angaben“ (Claims), die ohne eine wissenschaftliche Prüfung und ausdrückliche Zulassung nicht verwendet werden dürfen. Näheres zum Zulassungsverfahren und Informationen über zugelassene und abgelehnte Claims in unserem Beitrag Zerknirscht - Nahrungsergänzungsmittel für die Gelenkgesundheit.
Grundsätzlich untersagt sind Hinweise auf Dauer und Ausmaß der Gewichtsabnahme.

In der Realität scheren sich die Anbieter der untersuchten Produkte nicht um diese Vorschriften und ziehen den Verbraucher mit stark überhöhten Preisen für unwirksame Produkte über den Tisch.

 

Kaum nachvollziehbare Vertriebswege

Auslieferung der Erzeugnisse über Österreich, Herstellung in Spanien oder Serbien, Vertrieb über im Ausland firmierende Shoppingkanäle - derart undurchsichtige und beliebig wechselnde Vertriebswege erschweren es der Lebensmittelüberwachung, der Verantwortlichen habhaft zu werden.
Bemerkenswert war in einem Fall, dass die deutsche Adresse eines Teleshops kurze Zeit nach der Probeentnahme nicht mehr erreichbar war, sondern nur noch eine Adresse in den Niederlanden. Ein anderer Teleshop ging nach Begutachtung einer Probe lt. Information der zuständigen Behörde in Konkurs.

 

Unsere Ergebnisse

Zunächst die gute Nachricht: keine Probe enthielt pharmakologisch wirksame Stoffe, wie z.B. Sibutramin. Bei über das Internet vertriebenen „Schlankheitsmitteln“ besteht grundsätzlich die Gefahr, dass – um überhaupt eine Wirkung zu erzielen – ohne Deklaration Arzneistoffe zugesetzt werden, die ggf. die Gesundheit des Verbrauchers gefährden.

Ausnahmslos wurde die Aufmachung und die Bewerbung der Produkte als irreführend beanstandet. Für die Behauptung, Artischockenextrakt wäre schlankheitsfördernd gibt es keine wissenschaftlichen Belege. Dies gilt auch für die weiteren Zutaten der Produkte.
Das Unionsregister gibt eine Übersicht über die innerhalb der EU derzeit zugelassenen und abgelehnten Claims. Bisher wurden alle Werbeaussagen, die in Bezug auf eine Reduktion des Körpergewichtes stehen, wegen mangelnder wissenschaftlicher Grundlagen abgelehnt.
Dies gilt auch für weitere, angeblich schlankheitsfördernde Zutaten der Produkte wie Grüner Tee, Coffein, L-Carnitin, Ananassaft, Apfelessig etc.

Auch die materielle Untersuchung gab Anlass zu Beanstandungen.
Eine Probe enthielt für Nahrungsergänzungsmittel nicht zugelassene Zusatzstoffe (Stabilisatoren E444 und E445). In mehreren Proben war der angegebene Gehalt einiger Vitamine unterschritten.

 

Was kann der Verbraucher tun?

Trotz eindeutiger Rechtsvorschriften ist die Bewerbung von Nahrungsergänzungsmitteln häufig irreführend und spielt bei „Schlankheitsmitteln“ mit dem Wunsch des Verbrauchers, ohne körperliche Anstrengung zu schlemmen und trotzdem eine „gute Figur“ zu machen.
Grundsätzlich gilt auch hier die alte Weisheit, dass ohne eine Reduktion der Kalorienaufnahme und Änderung des Lebensstils keine nachhaltige Gewichtsabnahme möglich ist. Lesen Sie dazu auch unseren Beitrag Schlank im Schlaf.

Verbraucherinformationen für „Schlankheitsprodukte“ mit Artischockenextrakt finden sich auch auf der Internetseite des Bundesverbandes der Verbraucherzentralen http://www.lebensmittelklarheit.de.

 

Bildernachweis

Big Pants, Getty Images, Creative-Bild-Nummer: 175487870
Overweight Man, Getty Images, Creative-Bild-Nummer: 170619584
Beispiel eines Werbehinweises: CVUA Stuttgart

 

Artikel erstmals erschienen am 16.09.2013