Übergang von Weichmachern aus der Dichtung von Twist-off-Verschlüssen auf in Gläsern verpackte Lebensmittel

CVUA Stuttgart findet stark überhöhte Gehalte, u.a. in Pesto

Veschiedene Schraubdeckelgläser und Twist-off-Deckel.Die Problematik des Übergangs von unerwünschten und gesundheitlich bedenklichen Substanzen in verpackte Lebensmittel lässt das CVUA Stuttgart nicht los. Nach auffälligen Funden von Semicarbazid (SEM; steht im Verdacht, krebserregend zu sein) in 2003 und von 2-Ethylhexansäure (2-EHA; steht im Verdacht, fruchtschädigend zu wirken) in 2004 in Babynahrung hat das CVUA dieses Jahr weitere Lebensmittel, die in Gläsern mit Twist-Off-Verschlüssen verpackt sind untersucht. Im Fokus stand dieses Mal wiederum die Deckeldichtung. Diese ist aus dem Kunststoff Polyvinylchlorid (PVC) gefertigt, der an sich ein sehr hartes und sprödes Material darstellt. Um für Dichtungszwecke die nötige Geschmeidigkeit zu erreichen, werden dem PVC Weichmacher zugesetzt. Diese können aus einer ganzen Reihe von chemischen Substanzklassen bestehen: Ester der Phthalsäure, Adipinsäure oder Sebacinsäure, epoxidierte native Öle wie epoxidiertes Sojabohnenöl (ESBO) oder epoxidiertes Leinöl (ELO), Acetyl-tributyl-Citrat (Citroflex), acetylierte Mono- und Diglyceride, um nur die häufigsten zu nennen.

Allen diesen Substanzen ist eines gemeinsam: sie gehen in die verpackten Lebensmittel und besonders leicht in fettreiche Lebensmittel über ("Migration").

Deshalb hat das CVUA im ersten Halbjahr 2005 zunächst 67 Proben von ölhaltigen Lebensmittel, wie z.B. Gemüsekonserven in Öl, Pesto aber auch Würzsaucen auf Tomatenbasis auf den Übergang von Weichmachern untersucht. Hierbei wurden zunächst die im Deckel enthaltenen Weichmacher identifiziert und anschließend im jeweiligen Lebensmittel quantitativ bestimmt.

 

Rechtliche Grundlagen
Spezifische Grenzwerte (sog. SML-Werte) wurden EU-weit nur für die Substanz Di-2-Ethylhexyladipat (DEHA) festgelegt. Für die anderen o.g. Stoffe gilt aber der sog. Globalmigrationsgrenzwert von 60 mg/kg. Dies bedeutet, dass die Summe aller Stoffe, die von einer Kunststoffverpackung auf Lebensmittel übergehen, diesen Grenzwert nicht überschreiten dürfen. Für gesundheitlich bedenkliche Stoffe wie z.B. die Phthalate hat der wissenschaftliche Lebensmittelausschuss der EU sog. TDI-Werte festgelegt ("tolerable daily intake", d.h. tolerierbare tägliche Aufnahmemenge, die sich aus sämtlichen Belastungsquellen, die auf den Menschen einwirken, zusammensetzt). Eine Überschreitung der TDI-Werte durch einzelne Lebensmittel sieht das Bundesinstitut für Risikobewertung aus gesundheitlicher sicht für nicht vertretbar an.

 

Untersuchungsergebnisse
Die folgende Übersicht zeigt die in den Proben bestimmten Gehalte an Weichmachern in den verschiedenen Lebensmittelkategorien.

 

Vorschaubild Abbildung 1.
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Abbildung 1: Gehalte an Weichmachern in Lebensmittel, die in Gläsern mit Twist-off-Deckeln verpackt sind
(Summe aller weichmachenden Substanzen).

 

Fazit und Bewertung
Insgesamt wurde der Grenzwert für die Globalmigration bei 46% der untersuchten Proben überschritten, wobei die Differenzierung nach Produkten das folgende Bild ergibt:

Grenzwertüberschreitungen waren bei

  • 10 von 12 Proben von in Öl eingelegtem Gemüse (= 83%)
  • 18 von 23 Proben ölhaltige Würzsaucen (= 78%)
  • 3 von 32 Proben Saucen auf Tomatenbasis (= 9%)

Unsere Untersuchungsergebnisse zeigen, dass Deckel mit einer Dichtung aus weichmacherhaltigem PVC nicht für den Kontakt mit ölhaltigen Lebensmitteln geeignet sind.

Diese Erkenntnisse sind im Übrigen nicht neu: das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) verweist bereits seit langem in seiner "Empfehlung I. Weichmacherhaltige Hochpolymere" auf diese wissenschaftlich fundierte Tatsache hin. Unsere Untersuchungsbefunde deuten allerdings darauf hin, dass die Hersteller diese Empfehlung häufig nicht befolgen.

 

 

Viele Deckeldichtungen enthalten Phthalate als Weichmacher

Phthalate sind eine Sammelbezeichnung für verschiedene Einzelstoffe. In den Deckeln und den damit verpackten Lebensmitteln wurden insbesondere Diisononylphthalat (DINP), Diisodecylphthalat (DIDP) und Di-2-Ethylhexylphthalat (DEHP) nachgewiesen.

Von den Phthalaten DEHP und DBP ist bekannt, dass sie reproduktionstoxisch wirken, da sie durch Eingriffe in den Hormonhaushalt die Fortpflanzung und Entwicklung beeinflussen können.

Aus diesem Grund wurden für diese Stoffe sehr niedrige TDI-Werte (DEHP: 0,05 mg/kg Körpergewicht/Tag und DINP/DIDP: 0,15 mg/kg Körpergewicht/Tag) festgelegt. Bei üblicher wissenschaftlicher Vorgehensweise würden sich daraus SML-Werte von 3 bzw. 9 mg/kg bezogen auf das Lebensmittel ergeben. Diese wurden von der EU aber bislang nicht rechtsverbindlich festgelegt.

 

Untersuchungsergebnisse
Die folgende Übersicht zeigt die gefundenen Gehalte an Phthalaten in den verschiedenen Lebensmittelkategorien.

 

Vorschaubild Abbildung 2.
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Abbildung 2: Gehalte an Phthalaten in Lebensmittel, die in Gläsern mit Twist-off-Deckeln verpackt sind.

 

Fazit und Bewertung
Bei 22 der 67 untersuchten Deckel (= 33%) wurden Phthalate in Kombination mit anderen Substanzen als Weichmacher verwendet und konnten im Lebensmittel nachgewiesen werden.

Bei 19 der 22 Proben von Lebensmitteln, die mit phthalathaltigen Deckeln verpackt waren (= 86%) wurde der aus dem TDI abgeleitete SML-Wert für Phthalate erreicht oder deutlich (bis um den Faktor 52) überschritten.

Der Grenzwert für die Globalmigration wurde bei 63% der phthalathaltigen Proben überschritten, wobei die Differenzierung nach Produkten das folgende Bild ergibt:

Grenzwertüberschreitungen waren bei

  • 5 von 9 Proben von in Öl eingelegtem Gemüse (= 56%)
  • 4 von 5 Proben ölhaltige Würzsaucen (= 80%)
  • 3 von 8 Proben Saucen auf Tomatenbasis (= 38%)

Unsere Untersuchungsergebnisse zeigen, dass seitens der Lebensmittelhersteller noch mehr Sensibilität hinsichtlich des Einsatzes der aus toxikologischer Sicht bedenklichen Phthalate erforderlich ist. Hier müssen dringend alternative Dichtungsmassen zum Einsatz kommen, die für den Kontakt mit ölhaltigen Lebensmitteln geeignet sind.

 

 Weitere Informationen:

Übergang von Weichmachern aus Schraubdeckel-Dichtmassen in Lebensmittel, Stellungnahme Nr. 010/2005 des BfR vom 14. Februar 2005

Weichmacherhaltige Hochpolymere, Empfehlung I. des Bundesinstitutes für Risikobewertung, Stand 01.04.2004

 

Artikel erstmals erschienen am 25.08.2005