Gesundheitsschädliche Amitraz-Rückstände in türkischen Birnen

Nadja Bauer und Marc Wieland

 

Hintergrund und Zusammenfassung

Foto: Eine ganze Birne und eine Birnenhälfte.Bis zum Berichtszeitpunkt wurden im Jahr 2009 insgesamt 45 Proben Birnen aus verschiedenen Herkunftsländern auf Rückstände an Pflanzenschutzmitteln untersucht. Wie schon in den Vorjahren wurden in allen untersuchten türkischen Proben (8) Rückstände des Insektizids und Akarizids Amitraz festgestellt. Amitraz ist in Deutschland nicht zugelassen, da dieser Wirkstoff eine vergleichsweise hohe Toxizität aufweist. Aus diesem Grund dürfen Amitraz enthaltende Pflanzenschutzmittel seit Anfang 2008 auch EU-weit nicht mehr angewendet werden (Entscheidung der Kommission 2004/141/EG).

 

Zur Frage der toxikologischen Bewertung der Rückstandsgehalte wurde 2007 eine Stellungnahme des Bundesinstituts für Risikobewertung (BfR) eingeholt. Die von der WHO festgesetzte Akute Referenzdosis (ARfD; siehe Infokasten) von 0,01 mg/kg Körpergewicht basiert auf einer Humanstudie, weshalb nur ein Sicherheitsfaktor von 10 zwischen NOAEL und ARfD liegt. Dieser Sicherheitsfaktor ist in 7 von 8 untersuchten türkischen Birnen durch die extrem hohe Überschreitung der akuten Referenzdosis (1643 - 14327 %) ausgeschöpft. Somit kann in den vorliegenden Fällen eine gesundheitliche Beeinträchtigung, insbesondere bei Kleinkindern mit hohem Birnenverzehr, nicht mit der erforderlichen Sicherheit ausgeschlossen werden. Die Birnenproben wurden daher als nicht sichere Lebensmittel im Sinne des Artikel 14 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 178/2002 (Lebensmittel-BasisVO) beurteilt, wobei 6 Proben sogar nach Artikel 14 Abs. 2a i.V.m. Abs. 4 als gesundheitsschädlich eingestuft wurden.

 

Aufgrund der Erfahrungen aus den Vorjahren wurde in Zusammenarbeit mit den zuständigen Lebensmittelüberwachungsbehörden ein spezielles Überwachungsprogramm für Birnen durchgeführt. Durch eine geuzielte und schnelle Untersuchung auf den problematischen Wirkstoff Amitraz konnte belastete Ware teilweise noch aus dem Verkehr genommen werden. Von den Behörden wurden die Lieferwege ermittelt, noch vorhandene Ware vernichtet, Auflagen erteilt und Straf- und Ordnungswidrigkeitsverfahren eingeleitet. Diese Befunde und Maßnahmen werden auch an das europäische Schnellwarnsystem für Lebensmittel und Futtermittel (RASFF) gemeldet.

 

Toxikologische Bewertung

Das für die toxikologische Bewertung von Pflanzenschutzmittelrückstände zugrunde liegende Modell basiert auf einer konservativen Betrachtung der maximalen Verzehrsmengen (VELS-Studie1) bei Kleinkindern und auf den aktuellen akuten Referenzdosen (ARfD) der jeweiligen Rückstände. Für Amitraz (insgesamt berechnet als Amitraz, einschließlich aller Metaboliten, die die 2,4‑Dimethylanilingruppe enthalten) wird nach Information des BfR eine ARfD (WHO) von 0,01 mg/kg Körpergewicht auf Basis einer Humanstudie abgeleitet. Für die Berechnung der ARfD-Ausschöpfung werden folgende Daten zugrundegelegt: die Verzehrsmenge von Birnen bei Kleinkindern (2 bis < 5 Jahre, durchschnittliches Körpergewicht 16,15 kg) von 231,8 g (Vielverzehrer, 97,5tes Perzentil) sowie ein Variabilitätsfaktor von 7. Bei der Ableitung von akuten Referenzdosen werden vorsorglich Sicherheitsfaktoren berücksichtigt. Die von der WHO festgesetzte ARfD von 0,01 mg/kg Körpergewicht basiert auf einer Humanstudie, weshalb nur ein Sicherheitsfaktor von 10 angesetzt wird2, und somit die Sicherheitsmarge bei höheren Amitraz-Rückstandsgehalten sehr schnell ausgeschöpft ist.

1 Banasiak et al., Abschätzung der Aufnahme von Pflanzenschutzmittel-Rückständen in der Nahrung mit neuen Verzehrsmengen für Kinder, BGBl. 1, 2005.

2 Üblicherweise wird in toxikologischen Langzeitversuchen an verschiedenen Tierarten geprüft, bei welcher Wirkstoffkonzentration keine Beeinträchtigung der Gesundheit beobachtet werden kann (= NOAEL, „no observable adverse effect level“). Bei der Übertragung der Ergebnisse auf den Menschen, geht man davon aus, dass der Mensch zehnmal empfindlicher reagieren könnte als das empfindlichste Tier (Interspeziesvariabilität) und besonders empfindliche Menschen (Kranke, Alte, Kinder) noch zehnmal empfindlicher als gesunde Erwachsene (Intraspeziesvariabilität). Somit wird beim aus Tierversuchen ermittelten NOAEL-Wert ein Sicherheitsfaktor von 100 angesetzt um toxikologische Schwellenwerte wie die langfristige duldbare Tagesdosis für den Menschen (= ADI, „acceptable daily intake“) oder die kurzzeitig tolerierbare Aufnahme (= ARfD, „acute reference dose“) abzuleiten.

 

Infokasten

Akute Referenzdosis (Acute Reference Dose, ARfD)

Zur Bewertung von Pflanzenschutzmittelwirkstoffen, die eine hohe akute Toxizität aufweisen und schon bei einmaliger oder kurzzeitiger Aufnahme gesundheitsschädliche Wirkungen auslösen können, eignet sich der ADI-Wert (ADI = „acceptable daily intake“) nur eingeschränkt. Da er aus längerfristigen Studien abgeleitet wird, charakterisiert er eine akute Gefährdung durch Rückstände in der Nahrung möglicherweise unzureichend. Mitte der 1990er Jahre wurde deshalb neben dem ADI-Wert ein weiterer Expositionsgrenzwert eingeführt, die sogenannte Acute Reference Dose (akute Referenzdosis, ARfD). Die Weltgesundheits­organisation hat die ARfD als diejenige Substanzmenge definiert, die über die Nahrung innerhalb eines Tages oder mit einer Mahlzeit aufgenommen werden kann, ohne dass daraus ein erkennbares Gesundheitsrisiko für den Verbraucher resultiert. Anders als der ADI- wird der ARfD-Wert nicht für jedes Pflanzenschutzmittel festgelegt, sondern nur für solche Wirkstoffe, die in ausreichender Menge geeignet sind, die Gesundheit schon bei einmaliger Exposition schädigen zu können.

 

Quelle: http://www.bfr.bund.de/cm/218/grenzwerte_fu...on_pflanzenschutzmittelrueckstaenden.pdf

Analytik

Da die traditionelle Analysenmethode zur Bestimmung von Amitraz sehr aufwändig und zeitraubend ist, hat das CVUA Stuttgart im Jahr 2007 eine vereinfachte Analysenmethode mit Hilfe der LC-MS/MS-Technik entwickelt. Hierbei wird jedoch der Wirkstoff Amitraz in der Regel aufgrund von Abbaureaktionen nur in geringen Gehalten nachgewiesen. Das CVUA Stuttgart stützt sich daher in der Amitrazanalytik auf den Metabolit N‑2,4‑Dimethylphenyl-N‑methylformamidine als Hauptanalyt und berechnet daraus den Gehalt an Amitraz. Dies geht auch mit der Definition der Höchstmenge konform, die als „Summe aus Amitraz, einschließlich seiner Metaboliten, die die 2,4-Dimethylanilingruppe enthalten“ festgelegt ist. Das Abbauprodukt N-2,4-Dimethylphenyl-N-metyhlformamidine stellt den Hauptmetaboliten mit einer 2,4-Dimethylanilingruppe dar.

Genauere Hinweise zur Aufarbeitung der Proben (QuEChERS) und Messung des Wirkstoffes Amitraz und seines Hauptmetabolits N-2,4-Dimethylphenyl-N-methylformamidin mittels LC-MS/MS werden für Laboratorien im Internet (www.crl-pesticides.eu) zur Verfügung gestellt.

 

Ergebnisse

Bis zum Berichtszeitpunkt wurden im Jahr 2009 insgesamt 45 Proben Birnen aus verschiedenen Herkunftsländern (Südamerika 12, Deutschland 10, Südafrika 6, Türkei 8, Italien 4, Spanien 1, Niederlande 1, Sonstige 3) auf Rückstände an Pflanzenschutzmitteln untersucht. In allen 8 Birnenproben aus der Türkei konnten Amitraz-Rückstände festgestellt werden. Hierbei lagen die nachgewiesenen Rückstandsgehalte deutlich über der für Amitraz gesetzlich festgelegten Höchstmenge und auch der festgelegte Wert für die Akute Referenzdosis (ARfD) wurde in allen Proben deutlich überschritten (vgl. Tabelle 1). In den übrigen Proben konnten keine Höchstmengenüberschreitungen und auch keine Amitraz-Rückstände festgestellt werden.

 

Tabelle 1: Rückstandsgehalte an Amitraz (berechnet als Summe aus Amitraz mit seinem Abbauprodukt N-2,4-Dimethylphenyl-N-methylformamidin) der 8 untersuchten Birnen türkischer Herkunft (CVUA Stuttgart September - Oktober 2009)
Herkunft Amitraz-Gehalt [mg/kg] ARfD - Ausschöpfung [%]*
Türkei 10,4 9491
Türkei 15,7 14327
Türkei 0,2 183
Türkei 1,8 1643
Türkei 6,0 5475
Türkei 9,8 8943
Türkei 4,3 3924
Türkei 5,9 5384

*Ausschöpfung der akuten Referenzdosis bei Zugrundelegung der Verzehrsmengen von Birnen bei Kleinkindern (2 bis < 5 Jahre, durchschnittliches Körpergewicht 16,15 kg) von 231,8 g (Vielverzehrer; 97,5tes Perzentil) und eines Variabilitätsfaktors von 7

 

Artikel erstmals erschienen am 19.10.2009