Rotlauf bei einem Schwarzstorch (Ciconia nigra) - Eine seltene Diagnose bei einem seltenen Vogel

Dres. Andreas Hänel und Reinhard Sting

 

Foto: Ein Schwarzstorch, Fotograf: Marek Szczepanek, Wikimedia Commons. Dieses Bild wurde unter der GNU-Lizenz für freie Dokumentation veröffentlicht.

 

Fallbeschreibung

Anfang Mai 2009 wurde dem CVUA Stuttgart vom NABU Vogelschutzzentrum Mössingen der Tierkörper eines Schwarzstorches mit der Bitte um Feststellung der Todesursache überbracht. Der Schwarzstorch war wenige Tage zuvor in der Nähe von Altdorf im Landkreis Esslingen tot aufgefunden worden.

Während sein wesentlich häufigerer und daher besser bekannter Verwandter, der Weißstorch, ein ausgesprochener Kulturfolger ist, benötigt der Schwarzstorch große störungsarme Wälder als Lebensraum und Brutgebiet. In Baden-Württemberg war der Schwarzstorch im 19. Jahrhundert ein regelmäßiger Brutvogel. Durch Veränderungen des Lebensraumes und fehlende Schutzmaßnahmen gingen die Bestände jedoch zurück und 1925 wurde die letzte Brut beobachtet. Erst seit 2001 ist er mit wenigen Paaren wieder Brutvogel im Land.

Die Sektion des Vogels ergab, dass es sich um ein männliches Tier in mäßigem Ernährungszustand handelte. Der Magen war leer. Außer petechialen (punktförmige) Blutungen auf dem Herzmuskel und einem Blutstau in den inneren Organen konnten keine besonderen Organveränderungen festgestellt werden. Insbesondere lagen keine Veränderungen vor, die auf die Einwirkung eines Traumas schließen ließen.

Die routinemäßig durchgeführte bakteriologische Untersuchung von Herzblut, Leber und Lungen ergab ein starkes, nahezu in Reinkultur vorliegendes Bakterienwachstum auf Schafblutagarplatten. Die Bakterienkolonien wiesen einen Hof einer unvollständigen Hämolyse (Alpha-Hämolyse) auf, die sich deutlich nach insgesamt 48 Stunden Bebrütung verstärkte (Abbildung 1). Neben der Bildung einer Alpha-Hämolyse und fehlender Katalase-Aktivität zeigten die Keime eine charakteristische, gläserbüstenförmige Schwarzfärbung im Bereich einer stichförmigen Beimpfung des sogenannten SIM- oder Kligler- (Zweizucker-Eisen-) Agars aufgrund der Bildung von Eisensulfid (Abbildung 2). Das Bakterienisolat zeigte in der Gram-Färbung zunächst grampositiven Stäbchenbakterien, später nach mehreren Subkulturen fadenförmige Bakterien (Abbildung 3).

Die Sequenzierung eines ca. 900 bp großen DNA-Abschnitts des 16S-RNA-Gens ergab nach Abgleich mit DNA-Sequenzdaten, die das National Center of Biological Information (NCBI) frei zugänglich zur Verfügung stellt, eine Übereinstimmung von 100% mit DNA-Sequenzen, die für Erysipelothrix rhusiopathiae bereits beschrieben worden sind.

Der pathologisch-anatomische Befund in Verbindung mit den Ergebnissen der bakteriologischen Untersuchungen ergab die Diagnose einer letalen Rotlaufinfektion.

 

Der Erreger

Rotlauf wird durch das Bakterium Erysipelothrix rhusiopathiae verursacht und ist primär eine Erkrankung der Schweine. Allerdings sind neben Schweinen zahlreiche weitere Tierarten ganz unterschiedlicher Gattungen für Infektionen mit diesem Bakterium empfänglich. Rotlaufinfektionen sind bei mehr als 40 Vogelarten, wie z.B. bei Wasservögeln, Greifvögeln und Papageien, sowie über 50 Arten von Säugetieren beschrieben. Auch der Mensch kann sich infizieren (Zoonose!). Schweine gelten als Hauptwirt für Erysipelothrix rhusiopathiae, wobei ungefähr die Hälfte infizierter Schwein den Erreger in den Tonsillen (Mandeln) tragen kann, ohne erkennbar zu erkranken. Die Ausscheidung des Erregers mit dem Kot führt zu einer ubiquitären Verbreitung von Rotlaufbakterien in der Umwelt. In feuchtem Erdboden und im Wasser kann der Rotlauferreger bei niedrigen Temperaturen bis über einen Monat infektiös bleiben. Infiziert werden können Wildvögel, Kleinsäuger wie Mäuse, aber auch Fische, Amphibien und Reptilien, die Beutetiere zahlreicher Wildtiere sind.

 

Erkrankung

Das Schwein ist der wichtigste Wirt und das primäre Reservoir für Rotlaufbakterien. Schweine zeigen nach Infektion eine akute, hochfieberhafte Allgemeinerkrankung mit backsteinförmigen entzündlichen Hautveränderungen. Bei chronischem Verlauf treten Herzklappen- und Gelenksentzündungen auf. Erkrankungen werden außer bei Schweinen am häufigsten bei Mäusen, Ratten, Sumpfbibern, Delphinen und Puten beobachtet. Der Mensch entwickelt nach Wundinfektionen mit Rotlaufbakterien das sogenannte Erysipeloid, eine lokale Infektion der Haut, die sich in einer abgegrenzten rotbläulichen Schwellung äußert und in der Regel spontan wieder abheilt.

Die Infektion bei Tieren erfolgt vor allem oral (Erregeraufnahme über den Verdauungstrakt), aber auch über Verletzungen, die als Eintrittspforte dienen können. Rotlaufbakterien können auch durch Vektoren wie Mäuse, Fliegen und stechende Insekten verbreitet und übertragen werden.

Eine Behandlung ist mit Penicillinen (Tier und Mensch), eine Prophylaxe bei Schweinen und Puten mit Hilfe von Schutzimpfungen möglich.

 

Fotomontage: Abbildung 1 (Wachstum von Rotlaufbakterien auf einer Schafblutagarplatte) links im Bild, Abbildung 2 (Gläserbürstenförmiges Wachstum von Rotlaufbakterien) rechts. Copyright CVUA Stuttgart.

Abbildung 1 (links): Wachstum von Rotlaufbakterien (Erysipelothrix rhusiopathiae) auf einer Schafblutagarplatte.

Zu sehen sind sehr kleine, eine Hämolyse (starke Alpha-Hämolyse) verursachende Kolonien.

Abbildung 2 (rechts): Gläserbürstenförmiges Wachstum von Rotlaufbakterien (Erysipelothrix rhusiopathiae) nach stichförmiger Beimpfung eines sog. Kligler- (Zweizucker-Eisen-) Agars (links) und SIM-Agars (rechts). Entlang der Beimpfung kommt es zur Bildung von schwarzem Eisensulfid.

 

Foto: Gram-Färbung von Rotlaufbakterien, 1.000-fache Vergrößerung. Copyright CVUA Stuttgart.

Abbildung 3: Gram-Färbung von Rotlaufbakterien (Erysipelothrix rhusiopathiae) nach Erstkultivierung (stäbchenförmige Bakterien; links) sowie nach Subkultivierungen (stäbchen- und fadenförmige Bakterien; rechts) (1.000-fache Vergrößerung).

 

Schlussbetrachtungen

  • Durch kontaminierten Dung infizierter Schweine können Rotlaufbakterien in großen Mengen in die Umwelt gelangen und aufgrund ihrer Überlebensfähigkeit nicht nur Haustiere, sondern auch wildlebende Tiere infizieren.
  • Durch die Aufnahme infizierter Beutetiere wie Mäuse und Nagetiere, Fische, Amphibien und Reptilien) können beutejagende Wildvogelarten ( Hubálek, 2004), darunter auch streng geschützte Arten wie der Schwarzstorch infiziert werden.
  • Wildtiere stellen sicherlich kein Reservoir für Rotlaufbakterien dar.
  • Dung aus Rotlauf-infizierten Schweinebeständen sollte nicht vor einer Lagerung von mindestens 1 Monat ausgebracht werden.

 

 

Quellen

Hubálek, Z. (2004): An annotated checklist of pathogenic microorganisms associated with migratory birds. Journal of Wildlife Diseases 40(4), pp. 639–659.

National Center of Biological Information (NCBI): http://www.ncbi.nlm.nih.gov/

 

Bildernachweis

Ciconia nigra, Fotograf: Marek Szczepanek. Dieses Bild wurde unter der GNU-Lizenz für freie Dokumentation veröffentlicht.

 

Artikel erstmals erschienen am 03.07.2009