Pseudotuberkulose- (Corynebacterium pseudotuberculosis) Infektionen im Vormarsch

Dr. Reinhard Sting

 

Zusammenfassung

Die Pseudotuberkulose ist die bedeutendste chronische, durch Bakterien hervorgerufen Infektionskrankheit der Ziegen und Schafe. Der Erreger der Pseudotuberkulose ist das Bakterium Corynebacterium (C.) pseudotuberculosis. Infektionen mit diesem Erreger sind durch Abszesse oberflächlicher und tiefer Lymphknoten (verkäsende Lymphadenitis) charakterisiert. Diese mittlerweile weltweit verbreitete Infektionskrankheit nimmt nicht nur in Baden-Württemberg, sondern auch in anderen Bundesländern und Nationen zu.

 

In Baden-Württemberg ist damit zu rechnen, dass 20-25% der Ziegen und Schafe infiziert sind und über 50% der beprobten Herden mit mindestens einem positiven Tier betroffen sind. Diese Daten wurden durch aktuelle serologische Untersuchungen im CVUA Stuttgart gewonnen.

 

Serologische Untersuchungen stellen im Verbund mit klinischen Untersuchungen (Feststellung von Abszessbildungen) ein wichtiges Element der Erkennung infizierter Tiere in Herden und somit der Ermittlung eines Herdenstatus dar.

 

Fotomontage: Mutterschaf mit Jungtieren und Ziegen auf der Weide; Fotograf: Dr. Reinhard Sting.

 

Ergebnisse serologischer Untersuchungen im CVUA Stuttgart zur Pseudotuberkulose bei Ziegen in Baden-Württemberg

Im Rahmen eines Projektes unseres Hauses in Kooperation mit dem Institut für Tierhygiene der Universität Hohenheim ist es uns gelungen, ELISA-Testsysteme zum Nachweis von Antikörpern gegen C. pseudotuberculosis bei Ziegen zu entwickeln. Mit Hilfe serologischer Untersuchungen (Nachweis von Antikörpern) sollen Pseudotuberkulose-Infektionen möglichst früh erkannt, sowie Daten zur Seroprävalenz der Pseudotuberkulose bei Ziegen in Baden-Württemberg gewonnen werden. Untersuchungen von mehr als 1.000 Ziegenseren aus den Jahren 2006 bis 2008, die aus 33 der 44 Landkreise Baden-Württembergs stammten, ergaben, dass bei 20-25% der untersuchten Ziegen Antikörper gegen den Erreger der Pseudotuberkulose nachweisbar waren. Betroffen waren über die Hälfte der insgesamt 129 untersuchten Herden mit mindestens einem serologisch positiven Tier.

 

Erste, orientierende Untersuchungen von insgesamt 335 Schafen aus 6 Landkreisen ergaben bei ca.25% der Tiere serologisch positive Ergebnisse.

 

Der Erreger der Pseudotuberkulose

Die Pseudotuberkulose der Ziegen und Schafe ist eine Infektionskrankheit, die durch das Bakterium Corynebacterium (C.) pseudotuberculosis verursacht wird. C. pseudotuberculosis ist ein gram-positives Bakterien (Abbildung 1), das mit den Mykobakterien, zu denen auch die Tuberkulosebakterien gehören, den Nokardien und Rhodococcus verwandt ist und zu den Actinomyceten gehört. Dieser ansonsten heterogenen Bakteriengruppe ist die Bildung eines komplexen Zellwandaufbaus aus Mycolsäuren (Lipide), Arabinogalactan und Peptidoglycan gemeinsam, die den Bakterien eine wachsartige Eigenschaft und einen besonderen Schutz verleihen (Abbildung 2). Diese komplexe Zellwand verhindert ein Abtöten der Bakterien durch das Immunsystem und ermöglicht den Keimen eine Vermehrung in Abwehrzellen (Makrophagen) sowie ein wochen- bis monatelanges Überleben in der Umwelt. Auf diese Weise können C. pseudotuberculosis-Keime von Tier zu Tier oder über kontaminierte Gegenstände und Werkzeuge (z.B. Scherwerkzeuge) übertragen werden.

 

Für eine Infektion ist das Eindringen in den Wirtsorganismus wichtig. Dieser Schritt wird durch das Enzym Phospholipase D von C. pseudotuberculosis unterstützt. Dieses Enzym ist in der Lage, Zellmembranen zu zerstören sowie die Blutgefäßdurchlässigkeit zu erhöhen und wird deshalb als sog. Exotoxin für die Verbreitung des Erregers im Organismus verantwortlich gemacht.

 

Abbildung 1: Mittels Gram-Färbung dargestellte Corynebacterium pseudotuberculosis-Bakterien (grampositive Bakterien, 1.000-fache Vergrößerung).

Abbildung 1: Mittels Gram-Färbung dargestellte Corynebacterium pseudotuberculosis-Bakterien (grampositive Bakterien, 1.000-fache Vergrößerung).

 

Abbildung 2: Wachs-/kreidartige (linkes Bild, starke Beleuchtung), hämolysierende (rechtes Bild, schwache Beleuchtung) Corynebacterium pseudotuberculosis-Kulturen auf Schafblutager.

Abbildung 2: Wachs-/kreidartige (linkes Bild, starke Beleuchtung), hämolysierende (rechtes Bild, schwache Beleuchtung) Corynebacterium pseudotuberculosis-Kulturen auf Schafblutager.

 

Vorkommen der Pseudotuberkulose

C . pseudotuberculosis-Infektionen sind vor allem bei Ziegen und Schafen beschrieben. Seltener kommen Infektionen bei anderen Tierarten wie Rind, Pferd oder Schwein vor. Zunehmend werden Infektionen bei Alt- und Neuweltkameliden festgestellt. Beim Menschen kann es nach massivem Erregerkontakt (z.B. beim Eröffnen von Abszessen) zu Infektionen mit Lymphknotenentzündungen kommen. Während eine Behandlung beim Menschen mit Antibiotika möglich ist, ist aufgrund der Erregerverbreitung und Abszessbildungen im Tier eine Antibiotika-Behandlung wenig erfolgreich.

 

Nur wenige Jahre nach den ersten Fallberichten über Pseudotuberkulose bei Ziegen 1986 in den Niederlanden (Schreuder et al., 1986) folgten auch in Deutschland Berichte über Todesfälle (Adams, 1992). A ktuelle Daten aus Schottland belegen mit einer Verdreifachung der Pseudotuberkulose-Fälle bei Schafen in einem kurzen Zeitraum von 2006 bis 2007 (The Veterinary Record, 2007) sogar eine dramatische Zunahme dieser Infektionskrankheit. Mittlerweile muss von einer weltweiten Verbreitung der Pseudotuberkulose ausgegangen werden .

Insgesamt steigt die Zahl der mit Pseudotuberkulose infizierten Herden nach Angaben des Schafherdengesundheitsdienstes der Tierseuchenkasse auch in Baden-Württemberg an (CVUA Stuttgart, Jahresbericht 2007, Anhang der Tiergesundheitsdienste) und auch in unserem Labor hat die Anzahl isolierter C. pseudotuberculosis-Kulturen von 2003 bis Mitte 2009 zugenommen (Grafik 1). Hierbei ist zu beachten, dass in Herden überwiegend Einzelfälle zur Untersuchung kommen und diese Zahlen nur die Spitze des Eisbergs tatsächlich infizierter Tiere darstellen. Aktuelle Daten zum Vorkommen der Pseudotuberkulose bei Ziegen in Baden-Württemberg lagen allerdings bisher noch nicht vor.

 

Grafik 1: Anzahl der von 2003 bis 2009 (1. Halbjahr) von Schafen und Ziegen aus Abszessmaterial gewonnenen Corynebacterium pseudotuberculosis-Isolate.

Grafik 1: Anzahl der von 2003 bis 2009 (1. Halbjahr) von Schafen und Ziegen aus Abszessmaterial gewonnenen Corynebacterium pseudotuberculosis-Isolate.

 

Infektionswege und Erregerausscheidungen

Die klassischen Eintrittspforten für C. pseudotuberculosis stellen Wunden dar, die vor allem beim Scheren (Schafe) oder durch scharfe Kanten an Umzäunungen, Melkständen oder Dornengebüschen und ähnliche Verletzungsursachen auftreten. Für eine massive Verbreitung des Erregers in der Umwelt der Tiere ist das Eröffnen von Abszessen (spontan oder Spaltung von Abszessen durch scharfe Gegenstände oder im Rahmen einer Behandlung) verantwortlich, bei der Erreger in sehr großen Mengen freigesetzt werden. Weiterhin ist eine Erregerausscheidung über die Milch und eine Übertragung auf die Jungtiere über die Kolostral- (Biest-) milch beschrieben. Zu Erregerausscheidungen über Köpersekrete und Kot liegen ebenfalls Berichte vor.

 

Der wichtigste Weg der Einschleppung der Pseudotuberkulose in eine Herde ist der Zukauf nicht erkannter infizierter Tiere.

 

Klinik der Pseudotuberkulose

Das Erscheinungsbild dieser stets chronisch verlaufenden Erkrankung äußert sich in Abszessbildungen (verkäsende Lymphadenitis) in oberflächlichen Lymphknoten (oftmals Lymphknoten im Kopf- und Halsbereich; Abbildung 3 und 4) und tiefen Lymphknoten sowie in Organen (sog. viszerale Form; Abbildung 5 und 6). Chronisch infizierte Tiere magern oft ab und verlieren an Leistungsfähigkeit.

 

Die Abszesse enthalten festen und oft trockenen, grüngelblich oder weißen Eiter, der oft einen charakteristisch lamellenartigen, geschichteten Aufbau („Zwiebelringschalen“) aufweist und von einer Kapsel umschlossen ist (Abbildung 3).

 

Abbildung 3: Typischer Pseudotuberkulose-Abszess (Corynebacterium pseudotuberculosis-Infektion) des Mandibularlymphknotens einer Ziege mit trockenem, in Schichten gelagertem Eiter und Kapselbildung (Pfeil).

Abbildung 3: Typischer Pseudotuberkulose-Abszess (Corynebacterium pseudotuberculosis-Infektion) des Mandibularlymphknotens einer Ziege mit trockenem, in Schichten gelagertem Eiter und Kapselbildung (Pfeil).

 

Abbildung 4: Lymphknotenabszess nach Corynebacterium pseudotuberculosis-Infektion (Ziege).

Abbildung 4: Lymphknotenabszess nach Corynebacterium pseudotuberculosis-Infektion (Ziege).

 

Abbildung 5: Abszesse auf dem Brustfell (abszedierende Pleuritis) bei der sog. viszeralen Pseudotuberkulose (Corynebacterium pseudotuberculosis -Infektion; Ziege).

Abbildung 5: Abszesse auf dem Brustfell (abszedierende Pleuritis) bei der sog. viszeralen Pseudotuberkulose (Corynebacterium pseudotuberculosis -Infektion; Ziege).

 

Abbildung 6: Samenstrang mit Abszessbildung (Pfeil) nach Corynebacterium pseudotuberculosis-Infektion (Ziegenbock).

Abbildung 6: Samenstrang mit Abszessbildung (Pfeil) nach Corynebacterium pseudotuberculosis-Infektion (Ziegenbock).

 

Die Diagnose einer Pseudotuberkulose-Infektion

Die Diagnose erfolgt derzeit bei lebenden Ziegen und Schafen ausschließlich durch eine klinische Untersuchung und beim Vorliegen von äußerlich sichtbaren Abszessen durch den direkten Erregernachweis in Abszessmaterial (Anzüchtung der Bakterien). Es ist jedoch bekannt, dass eine erhebliche Anzahl infizierter Tieren keine klinischen Symptome zeigt und somit unerkannt bleibt. Klinisch unauffällige, aber bereits infizierte Ziegen und Schafe stellen eine große Infektionsgefahr für andere Tiere einer Herde dar. Neben der klinischen Diagnose und dem Erregernachweis besteht die Möglichkeit des Nachweises von Antikörpern gegen C. pseudotuberculosis, die von infizierten Tieren nach einer Infektion gebildet werden. Der Nachweis dieser Antikörper mit Hilfe serologischer Methoden (ELISA-Technik) ist auch bei infizierten Tieren, die noch keine klinischen Erscheinungen zeigen, möglich und stellt deshalb ein wichtiges Instrument zur Früherkennung der Pseudotuberkulose in einem Bestand dar. Da die Aussagegenauigkeit serologischer Ergebnisse über den Infektionsstatus einer ganzen Herde von der Anzahl untersuchter Tiere abhängt, sollten nicht Einzeltiere, sondern die gesamte Herde, eine Herdenstichprobe oder zumindest betroffene, ältere Tiere (älter als ein Jahr) der Herde in diese Untersuchungen einbezogen werden (Herdendiagnostik).

 

Für das Erkennen der Pseudotuberkulose in einer Herde sind folgende Elemente wichtig :

  • Beweisend für eine Pseudotuberkulose-Infektion ist der kulturelle Nachweis des Bakteriums C. peudotuberculosis. Beim Auftreten von Abszessen ist deshalb immer eine bakteriologische Untersuchungen in einem veterinärmedizinischen Labor anzuraten. Bei der Entnahme von Probenmaterial muss aber eine Verunreinigung der Umwelt unbedingt vermieden und auf eine zuverlässige Desinfektion verwendeter Instrumente geachtet werden, um eine Weiterverbreitung des Erregers auf jeden Fall zu vermeiden.
  • Regelmäßige Beobachtungen und Abtasten der Tiere, um Abszessbildungen frühzeitig, d.h. auf alle Fälle vor deren Aufbrechen zu erkennen, ist nach wie vor wichtig (s. auch Entscheidung der Kommission 2003/708/EG).
  • Serologische Untersuchungen können Pseudotuberkulose-Infektionen in einer frühen Phase erkennen. Diese sollten in Verbindung mit der Beobachtung klinischer Symptome auf Herdenbasis zur Erzielung größtmöglicher Aussagesicherheit beurteilt werden (serologischer Status der Herde).

 

Möglichkeiten der Untersuchungen auf Pseudotuberkulose im CVUA Stuttgart

Zusätzlich zum kulturellen Nachweis von C. pseudotuberculosis bei Schafen, Ziegen, Altwelt- und Neuweltkameliden sind in unserem Labor auch serologische Untersuchungen von Ziegen auf Pseudotuberkulose mittels ELISA möglich (für Ziegen sind die ELISA-Testsysteme validiert).

Es ist zu beachten, dass der Pseudotuberkulose-ELISA bisher nur für Ziegen validiert worden ist.

 

Für den kulturellen Nachweis der Pseudotuberkulose sind folgenden Probenmaterialien geeignet :

  • Abszessinhalt sollte nur nach Desinfektion der Haut entnommen werden, um ein Überwachsen der langsam wachsenden C. pseudotuberculosis-Keime zu vermeiden. Für den Probentransport sollte ein steriles Gefäß verwendet werden.
  • Abszesstupferproben sollten nach Desinfektion der Haut möglichst innen an der Abszesskapsel entnommen werden (dies betrifft vor allem geöffnete oder spontan aufgebrochene Abszesse). Der Transport der Tupfer muss in geeignetem Transportmedium (Amies-Transportmedium mit oder ohne Zusatz von Aktivkohle) erfolgen, um ein Absterben der Keime zu verhindern (s. hierzu unseren Internetbeitrag „Transport diagnostischer Proben“).

 

Für den serologischen Nachweis der Pseudotuberkulose sind folgende Probenmaterialien geeignet :

  • Vollblut ohne Zusatz von Gerinnungshemmern (geronnenes Blut) oder Blut mit Zusatz von Gerinnungshemmern.
  • Blutserum oder Blutplasma, das aus geronnenem Vollblut oder Vollblut mit Zusatz von Gerinnungshemmern durch Zentrifugation gewonnen worden ist.

 

Literatur und weitere Quellen:

  • Adams, W. (1992): Pseudotuberkulose bei Ziegen. Deutsche Schafzucht 21, 492-495.
  • Homepage der Landwirtschaftskammer Nordrhein-Westfalen: http://www.landwirtschaftskammer.de/landwirtschaft/tiergesundheit/hgd/pseudotuberkulose.htm
  • Schreuder, B.E.C., E.A. ter Laak, H.W. Griessen (1986): An outbreak of caseous lymphadenitis in dairy goats: first report of the disease in the Netherlands. Vet. Quarterly 8, 61-67.
  • The Veterinary Record (2007): Increase in the number of cases of caseous lymphadenitis in Scotland. Veterinary Record 09/2007, p. 404.

 

 

Das Projekt „Pseudotuberkulose“ ist ein Gemeinschaftsprojekt des Chemischen und Veterinäruntersuchungsamtes Stuttgart und dem Institut für Tierhygiene der Universität Hohenheim und wurde freundlicherweise mit Mitteln der Grimminger-Stiftung für Zoonosen-Forschung und der Tierseuchenkasse Baden-Württemberg unterstützt.

 

Artikel erstmals erschienen am 24.11.2009