Filariosen – Bisher noch seltene Parasitosen beim heimischen Rehwild

Ein Bericht aus unserem Laboralltag

Dr. Birgit Blazey, Simon Katzenschwanz

 

Unser heimisches Rehwild ist häufig von Endo- und Ektoparasiten befallen. Aber mit Ausnahme von Magen-Darmparasiten und Lungenwürmern finden wir Nematoden (Rundwürmer) in anderen Körperorganen/-regionen selten. Das Labor Pathologie erhielt im dritten Quartal einen Rehrücken mit dem Verdacht auf Parasitenbefall zur Beurteilung. Nachgewiesen werden konnten Unterhautfilarien der Gattung Dipetalonema. Zeitnah erhielt das Labor Pathologie digitale Dokumentationen zweier weiterer Filariengattungen bei Rehen in Baden Württemberg. Onchocerca sp. eine Unterhautfilarie, die vor allem beim Rot- und Damwild, aber im Süden Deutschlands auch beim Rehwild auftritt, sowie eine in der Bauchhöhle parasitierende Filarie, Setaria sp. Keine der drei Filariosen gilt als Zoonose (auf Menschen übertragbare Krankheit), auch Heim-/Kleintiere sind nach heutigem Wissenstand nicht gefährdet.

Filarienfunde aus verschiedenen Quellen

Beim Aufbrechen oder pathologisch-anatomischen Untersuchungen werden laut Literatur v.a. in Süddeutschland bisweilen Rundwürmer (Filarien) beim heimischen Rehwild entdeckt. Im dritten Quartal erhielt das Labor Pathologie aus der Abteilung T (Lebensmittel tierischer Herkunft) einen rohen, ausgebeinten Rehrücken, eingeschweißt in Kunststofffolie. Es stellte sich die Frage nach der Genusstauglichkeit und dem Vorhandensein von Parasiten. Bei der Untersuchung im Labor Pathologie wurden 1,2 bis 2,2 cm lange, haardünne, weiße Nematoden nachgewiesen, die sich zwischen den Faszien und dem sogenannten Unterhautgewebe schlängelten (Abb. 1 und 2). Es handelte sich um die Unterhautfilarie Dipetalonema (Wehrdikmansia, Cercopithifilaria) rugosicauda, welche meist subkutan (in der Unterhaut) in Schulter- und Lendengegend aufzufinden sind. Sie verursachen beim Wirtstier keine starken entzündlichen Reaktionen.

 

Abb. 1 (links): Rehrücken mit geschlängelter Unterhautfilarie mit leichter Entzündungsreaktion und Abb. 2 (rechts): herauspräparierte Unterhautfilarien.

Abb. 1 (links): Rehrücken mit geschlängelter Unterhautfilarie mit leichter Entzündungsreaktion.

Abb. 2 (rechts): herauspräparierte Unterhautfilarien.

 

Humanpathogen ist dieser Parasit nicht, es lag also keine Zoonose vor. Der Rehrücken wurde aber aufgrund der mit bloßem Auge sichtbaren Parasiten als ekelerregend beurteilt. Es handelte sich um ein für den Verzehr ungeeignetes Lebensmittel (im Sinne von Art. 14 Abs. 2 Buchstabe b der Verordnung (EG) Nr. 178/2002).
Bei der histologischen (feingeweblichen) Untersuchung der Skelettmuskulatur wurden ergänzend zusätzlich Sarkosporidienzysten diagnostiziert. Die Zysten dieser einzelligen Parasiten liegen meist reaktionslos in den Muskelfasern. Sie werden im Untersuchungsgut des CVUA Stuttgart häufig in der Muskulatur von sezierten Wildwiederkäuern und Wildschweinen aufgefunden. Da man in der heutigen Küche auch bei Wildfleisch (ausgenommen Wildschwein wegen potentieller Trichinengefahr) immer mehr vom vollständigen Durchgaren abkommt, ist es wichtig zu wissen, dass auch diese Parasiten als nicht humanpathogen beschrieben sind!

 

Die Unterhautfilarie Dipetalonema (Wehrdikmansia, Cercopithifilaria) rugosicauda ist beim Reh ein häufiger Parasit in Süddeutschland, Österreich, Tschechien, der Slowakei und Ungarn. In Polen sind regional 6,6% bis 57% der Hirsche bei Untersuchungen auf Mikrofilarien (Erstlarven, L1) positiv. Die adulten Weibchen sind 35-45 mm und die Männchen 22-25 mm lang. Die Mikrofilarien messen 186-222 µm. Die adulten Filarien sitzen subkutan (in der Unterhaut) in der Schulter- und Lendengegend sowie Oberarm und Oberschenkel, sie sind nach dem Ausschlagen aus der Decke (waidmännisch: Enthäuten) gut sichtbar. Die Mikrofilarien findet man dagegen nicht mit dem unbewaffneten Auge. Sie kommen abweichend auch in der Haut von Nasenrücken, Ohrmuscheln und dem unteren Teil der Läufe vor. Die Auswanderung an diese Lokalisation stellt sich als höchstangepasst an ihren Zwischenwirt, den Holzbock (Ixodes ricinus) dar! Die Zeckennymphen sitzen vor allem im Kopfbereich, die adulten Zecken an Ober- und Unterschenkel. Die Mikrofilarien werden von den Zeckennymphen aufgenommen. Während sich die Nymphe über zwei Häutungen zur adulten Zecke entwickelt, erfolgt bei 20-22 °C parallel in etwa 2 Monaten die Entwicklung der Mikrofilarien (L1) zu infektionsfähigen Larven (L3).
Der Filarienfund bei befallenen Tieren ist zufällig, denn klinische Symptome treten bei den befallenen Säugetieren in der Regel nicht auf, bisweilen kann aber eine sklerosierende Lymphadenitis (Lymphknotenentzündung) auftreten.

 

Der nächste Filarienfall erreichte das Labor Pathologie zeitnah durch Zusendung eines digitalen Bildes einer Rehleber von einem Jagdausübungsberechtigten, mit der Bitte um Beurteilung und Bestimmung. Er hatte das Tier geschossen und entdeckte beim Aufbrechen (Ausweiden) ein geschlängeltes Gebilde auf der Leber. Das digitale Bild zeigte mehrere geschlängelte Nematoden in der Leberkapsel (Abb. 3 und 4). Bei der "digitalen Diagnostik" wurde Setaria sp. angenommen. Hier parasitieren die adulten Filarien in der Bauchhöhle, und führen meist zur Peritonitis (Bauchfellentzündung). Am Organbild konnte natürlich lediglich eine fokale bis diffuse Verdickung der bzw. Auflagerungen in der Leberkapsel erkannt werden, eine sogenannte chronische, fibroplastische Perihepatitis (länger bestehende Entzündungsreaktion in der Leberkapsel).

 

Abb. 3 und 4: Setaria sp.

Abb. 3 und 4: Setaria sp.

 

Setaria tundra, auch der weiße Fadenwurm genannt, ist eine in der Körperhöhle vom Rehwild parasitierende Nematode (sogenannte Bauchhöhlenfilarie). Berichtet wird von Fällen in Deutschland, der Schweiz, Österreich und Polen sowie selten in Tschechien und der Slowakei. Neben dem Rehwild gelten auch Elche und Rentiere in Finnland sowie Yaks, Büffel, Bisons und Schafe als Wirtstiere. Symptome bei befallenen Tieren sind nicht beobachtet worden. Bei stark infizierten Rentierkälbern in Finnland ist in der Literatur ein reduziertes Allgemeinbefinden, eine niedrige Body Kondition und ein unterentwickeltes Winterfell beschrieben. Eine Übertragung erfolgt durch Stechmücken, z.B. der Gattung Aedes oder Anopheles, die nicht nur als Vektoren sondern auch als Zwischenwirte dienen. Die Larvenstadien sind bei fehlgeleiteter Wanderung auch zwischen oder unter den Rückenmarkshäuten zu finden, und können im Gehirn herdförmige Encephalomyelitiden (Gehirn-Rückenmarkentzündung) mit Ausfallerscheinungen, Lumbalparalyse (Querschnittslähmung) oder gar Todesfälle verursachen. Dies tritt insbesondere bei larvalen Stadien von Setaria digitata in Fehlwirten wie Schaf, Ziege und Pferd auf. Auch eine Wanderung entlang der Nerven zum Auge ist möglich. Eine kongenitale Infektion (vom Muttertier auf den Fetus) durch Penetration der Plazenta durch die Larvenstadien ist beschrieben. Das adulte Weibchen misst bis zu 12 cm, das Männchen ist mit 28-35 mm deutlich kleiner. Mikrofilarien findet man in höherer Anzahl bei Jungtieren und vor allem in den Sommermonaten, der Zeit der Stechmücken.

 

Abb. 5: granulomatöse Entzündung in der Unterhaut nach Onchocerca sp.Befall.

Abb. 5: granulomatöse Entzündung in der Unterhaut

nach Onchocerca sp.Befall.

 

Ergänzend zu diesen Filarien-"Funden" berichtet ein Kollege des CVUA Freiburg, dass 2013 ein Schlachttierköper eines Gehegewildes angeliefert wurde, der eine ausgeprägte granulomatöse Entzündung in der Unterhaut aufwies (Abb. 5 und 7). Die subkutanen Granulome waren bis zu kirschgroß und stellten sich als Wurmknoten dar. Hier lag sehr wahrscheinlich ein Befall mit Onchocerca tarsicola vor. Als Zwischenwirte dienen zahlreiche Moskitos. Die Weibchen dieser Filariengattung messen 20-90 cm, was der Länge der vorgelegenen Parasiten entsprach (Abb. 6). Differentialdiagnostisch muss an Cutifilaria sp. gedacht werden, die Weibchen dieser Gattung werden aber nur ca. 6 cm lang. Bei Onchocerca flexuosa und O. tubingensis sind die bis kirschgroßen subkutanen Wurmknoten meist derb und schon von außen fühlbar.

 

 

 

 

Abb. 6 (links): Onchocera sp., adulter Wurm in Faszie und Abb. 7 (rechts): Onchocera sp., aus Granulom wandernder Parasit, Formaldehyd-fixiert.

Abb. 6 (links): Onchocera sp., adulter Wurm in Faszie.

Abb. 7 (rechts): Onchocera sp., aus Granulom wandernder Parasit, Formaldehyd-fixiert.

 

Filarien der Gattung Onchocerca  sind laut Literatur eine recht häufige Filariengattung beim Rotwild. In Süddeutschland findet man sie auch bei Rehwild. Die weiblichen Nematoden sollen im subkutanen Bindegewebe v.a. der Karpal- und Tarsalgelenke leben. Die Männchen wandern zwischen den Weibchen, die mehrere Reproduktionszyklen im Jahr haben, umher. Die Mikrofilarien konzentrieren sich um die Ohrregion und werden durch Kriebelmücken/Gnitzen übertragen. Wie auch bei Dipetalonema sp. ist eine Lymphadenitis beschrieben. Die differentialdiagnostisch erwähnte Filarie Cutifilaria wenki parasitiert ebenfalls intra- und subdermal bei Rot- und Damwild.

 

Infokasten

Filarien

Filarien (Filarioidea) sind lebendgebärende Nematoden (Rundwürmer) deren als Mikrofilarien bezeichnete Larven 1 (Erstlarven, L1) von blutsaugenden Arthropoden (Gliederfüßer) aufgenommen werden. In diesen Zwischenwirten entwickeln sie sich zu den infektiösen Larven 3 (L3) und werden mit dem Speichel auf den Endwirt übertragen. Filarien der Gattung Setaria und Dipetalonema (Wehrdikmansia, Cercopithifilaria) kommen bei Zerviden (Hirschen) in Europa häufig vor. Bisweilen werden auch Cutifilaria und Onchocerca sp. beobachtet. Alle sind der Überfamilie Onchocercidae zugeordnet. Der Unterfamilie Setariinae gehören die Nematoden der Gattung Setaria an. Die übrigen drei sind der Unterfamilie Onchocercinae zugeordnet. Die Zwischenwirte sind bei Setaria sp. Stechmücken (Moskitos), bei den Unterhautfilarien Dipetalonema sp. Zecken und bei Onchocerca sp. Kriebelmücken / Gnitzen.

Auftreten von Filariosen in den anderen Untersuchungsämtern in Baden Württemberg und bei anderen Tierfamilien

Nachdem im Sektionsgut des Zuständigkeitsbereiches des CVUA Stuttgart bislang keine derartigen Filarien auftraten, wurden die KollegenInnen der anderen Untersuchungsämter in Baden-Württemberg über die Häufigkeit des Auftretens oben genannter Filarien befragt. Sowohl das STUA Aulendorf als auch das CVUA Karlsruhe hatten ebenfalls keine Filarien-positiven Tiere zu melden. Am Einzugsgebiet CVUA Freiburg dagegen weisen dortige Sektionstiere häufig Setariabefall, selten aber die Unterhautfilarie auf. 2013 wurde ein Schlachttierköper eines Gehegewildes mit ausgeprägter granulomatöser Entzündung in der Unterhaut angeliefert. Hierbei handelt es ich um den oben beschriebenen Onchocerca-Befall vor.

 

Bei den landwirtschaftlichen Nutztieren spielen die Filarien in Deutschland im Gegensatz zu anderen Ländern keine Rolle. Die Setariose (Setaria digitata) ist beispielsweise weltweit bei Büffeln und Rindern beschrieben, bei der Onchocercose sind zwei Arten (Onchocerca gutturosa, O. lienalis) bei Rindern in Europa bekannt.

 

Ein weiter Vertreter der Filarien ist der Herzwurm des Hundes (Dirofilaria immitis) über den bereits 2013 von uns berichtet wurde (Herzwurmkrankheit (Dirofilariose) bei einem importierten Hund. Regelmäßiger, aber selten auftretender Befund in Deutschland).

 

Das CVUA Freiburg gab 2009 das erstmalige Auftreten der Rinder-Parafilariose in Deutschland im Landkreis Lörrach bekannt (Jahresrückblick 2009: Keine großen Tierseuchen, aber viele kleine Brennpunkte).

 

Auswirkung auf Verbreitung der Filarien im Zusammenhang mit Klimawandel??

Die klimatischen Veränderungen haben bereits dazu geführt, dass Krankheiten, die früher in Deutschland und Baden-Württemberg nicht auftraten, plötzlich auch hier aktuell werden. Möglicherweise weil die Vektoren plötzlich weiter nach Norden ziehen. Man denke zum Beispiel an die Blauzungenkrankheit (Bluetongue) und die Schmallenbergvirus-Infektion (SBV), ebenfalls durch Arthropoden übertragene Krankheiten. Nicht nur Viren können durch Insekten übertragen werden. Im Fall der Filarien dienen die Insekten diesen nicht nur als Vektoren (Transportwirt), sondern auch als Zwischenwirte (mindestens ein Entwicklungsschritt findet im Insekt statt. Durch Moskitos übertragene Krankheiten zählen zu den besonders klimaabhängigen Krankheiten. Nicht nur die Stechmücken zieht es in die wärmer werdenden Gebiete, auch die Entwicklung der Mikrofilarien zu infektiösen Larven ist temperaturabhängig. Ferner ist die Stich-/Saugfrequenz bei höheren Temperaturen erhöht. Somit ist eine Ausbreitung nach Norden auch bei den Filarien zu erwarten, wie bereits bei Dirofilaria repens schon nachweislich geschehen. So ist auch eine Nordwanderung beispielsweise bei Setaria tundra in Finnland auffällig geworden. In der Provinz Oulu in der Mitte Finnlands) sind bei Rentieren von 2001 bis 2003 vermehrt Setarien-bedingte Peritonitiden (Bauchfellentzündungen) festgestellt worden (Steigerung von 4,9% auf 40,1%). Im Zeitraum 2004-2005 ist  200 km nördlich ein weiterer neuer Ausbruch aufgetreten.

 

Fazit

Wenngleich die Filarien der Wildwiederkäuer keine Humanpathogenität und auch nur selten klinische Symptome bei den Wirtstieren verursachen, ist es von Interesse, wie weit diese Filarien in Baden Württemberg bereits verbreitet sind oder sich derzeit ausgebreiten. Um dieser Fragestellung nachzugehen werden bei zukünftigen Einsendungen von Tierkörpern diese unabhängig vom Vorbericht weiterhin komplett enthäutet und verstärkt auf das Vorliegen von Filarien untersucht.

 

Bildernachweis

Dr. Michael Suntz, Fachtierarzt der Pathologie, CVUA Freiburg (Abb. 5-7).
Karl Walch, Jagdausübungsberechtigter (Abb. 3+4).
CVUA Stuttgart.

 

Quellen

[1] Boch, Supperer (2000): Veterinärmedizinische Parasitologie, Kapitel 8.1 Parasitosen der Wildwiederkäuer, Parey Buchverlag Berlin, 5. Auflage, 782-783.
[2] Boch, Supperer (1988): Veterinärmedizinische Parasitologie, Krankheiten des jagdbaren Wildes, , Paul Parey Verlag Hamburg, 4. Auflage, S:98-99.
[3] Kim et al.: Congenital infection with Setaria digitata and Setaria marshalli in the thoracic cavity of a Korean calf: a case report. Veterinarni Medicina, 2010, 55 (6): 275-280.
[4] Demiaszkiewicz, AW (1994): Occurence of microfilariae Dipetalonema rugosicauda in deer and selected hunting grounds. Wiad Parazytol. 1994, 40(1): 99-102.
[5] Dyková, I: Lymph nodes of reed deer infected with subcutaneous filariae Wehrdikmansia cervipedis and Onchocerca flexuosa. Pathologiavet. 1970, 7 (1): 60-67.
[6] Laaksonen, Sauli: Setaria tundra, an emerging parasite of reindeer, and an outbreak it caused in Finland in 2003-2006. Academic Dissertation, Helsinki, 2010.
[7] Krauss, et al.: Zoonosen: Von Tier zu Mensch übertragbare Infektionskrankheiten, durch Parasiten verursachte Zoonosen. 2004, 3. Auflage: 300ff.
[8] VO (EG) 178/2002: Verordnung (EG) Nr. 178/2002 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 28. Januar 2002 zur Festlegung der allgemeinen Grundsätze und Anforderungen des Lebensmittelrechts, zur Errichtung der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit und zur Festlegung von Verfahren zur Lebensmittelsicherheit (ABl. L 31/1), zuletzt geändert durch die Verordnung (EG) Nr. 652/2014 vom 15. Mai 2014 (ABl. L 189/1).

 

Artikel erstmals erschienen am 13.11.2014