Milch-ab-Hof auf neuen Wegen! Mikrobiologische Untersuchung von Milch aus Rohmilchautomaten

Dr. Hans Layer, Sabine Horlacher

 

Seit einigen Jahren ist eine kontinuierliche Zunahme von Verkaufsautomaten bei der Direktvermarktung von Rohmilch als „Milch-ab-Hof“ zu beobachten. Um ein eventuell damit verbundenes Risiko bewerten zu können, wurden in Baden-Württemberg sowie im Rahmen des Bundesweiten Überwachungsprogramms BÜP 2016, eine Beprobung der amtlich registrierten  Abgabeautomaten als Schwerpunktprojekt durchgeführt.


Die Ergebnisse der Untersuchungsreihe zeigen, dass die Abgabe von Rohmilch als leicht verderbliches, tierisches Primärprodukt mit Hilfe von automatisierten Systemen ein zusätzliches Hygienerisiko darstellen kann. Dabei ist die Verbraucherauffassung mit zu bedenken, nämlich dass zahlreiche Verbraucher den gesetzlich vorgeschriebenen Warnhinweis „Rohmilch, vor Verzehr abkochen“ ignorieren und diese Milch roh verzehren, ungeachtet der Gefahr, dass rohe Milch mit krankmachenden Keimen belastet sein kann.
Die Untersuchungen zeigten auf, dass trotz relativ geringer Stichprobenzahl, pathogene Keime wie Camphylobacter, VTEC und Listeria monocytogenes festgestellt werden konnten.
Bedenklich wird dies, wenn die Rohmilch ohne vorherige Erhitzung von den allseits bekannten Risikogruppen , wie Kleinkinder, Senioren, Schwangere und Immungeschwächte (YOPIs) verzehrt wird. Werbende Darstellungen von Kleinstkindern, die Rohmilch vor Ort an der Milchtankstelle trinken, oder bagatellisierende Hinweisschilder (s. Bild) sind nicht zulässig.

 

 

Einleitung

Mikrobiologische Gefahren in Lebensmitteln stellen eine Hauptquelle lebensmittelbedingter Krankheiten beim Menschen dar. Lebensmittel dürfen daher keine pathogenen Mikroorganismen oder deren Toxine enthalten, die eine Gefahr für die menschliche Gesundheit darstellen können. Dabei stehen besonders die tierischen Primärprodukte im Focus. Zahlreiche pathogene Keime kommen bei Mensch und Tier natürlicherweise vor und können somit über die vom Tier gewonnenen Lebensmittel auf den Menschen übergehen. Diese Gefahren werden im Zuge der Verarbeitung, z.B. durch das Kochen, beseitigt. Deshalb hat der Gesetzgeber die Abgabe von Rohmilch an Verbraucher sehr eingeschränkt und nur unter der Auflage des Erhitzens oder als Vorzugsmilch überhaupt zugelassen.

 

Rechtliche Vorgaben

Die Abgabe von Rohmilch und Rohrahm an den Verbraucher ist gesetzlich verboten. Ausnahmen von diesem Verbot stellen die Abgabe von Rohmilch in Verbindung mit dem Abkochgebot als „Milch-ab-Hof“ dar, sowie die Abgabe von Rohmilch in Fertigpackungen als „Vorzugsmilch“.

Voraussetzungen für die „Milch-ab-Hof“-Abgabe

Nach § 17 (4) der Tier-LMHV darf Rohmilch ab Hof nur abgegeben werden, wenn

 

  1.     die Abgabe im Milcherzeugungsbetrieb erfolgt,
  2.     die Rohmilch im eigenen Betrieb gewonnen und behandelt worden ist,
  3.     die Rohmilch am Tag der Abgabe oder am Tag zuvor gewonnen worden ist,
  4.     an der Abgabestelle gut sichtbar und lesbar der Hinweis "Rohmilch, vor dem Verzehr abkochen" angebracht ist.

          die Abgabe von Rohmilch zuvor der zuständigen Behörde angezeigt worden ist.

 

Voraussetzungen für die Abgabe von Rohmilch als „Vorzugsmilch“:

Nach § 17 (2) der Tier-LMHV darf Rohmilch in Fertigpackungen als „Vorzugsmilch“ auch im Lebensmitteleinzelhandel an den Verbraucher abgegeben werden; jedoch nicht in Gemeinschaftsverpflegungen. Die Vorzugsmilch muss als Rohmilch gekennzeichnet werden. Ihr Verbrauchsdatum darf 96 Stunden nach der Gewinnung nicht überschreiten. Der Milcherzeugungsbetrieb bedarf der Genehmigung der zuständigen Behörde (= Lebensmittelüberwachung der Stadt-/Landkreise). Voraussetzung ist die Einhaltung strenger Überwachungsmaßnahmen, die sowohl die Tiere des Erzeugerbetriebes als auch die Milch selbst umfassen. (s. Tabelle 1)

Mikrobiologische Anforderungen an die Beschaffenheit von Vorzugsmilch (Anl. 9 Nr. 3 Tier-LMHV)

 

Proben

Über die Planprobenanforderung wurden im Jahr 2016 insgesamt 64 Erstproben von „Milch-ab-Hof“ aus Rohmilchautomaten in Baden-Württemberg erhoben. Diese wurden von den Lebensmittelkontrolleuren der Land- und Stadtkreise direkt am Auslass der Automaten in sterile Probengefäße abgefüllt. Die Proben wurden ständig gekühlt transportiert und innerhalb von 24 Stunden bei den örtlich zuständigen Untersuchungsämtern (CVUA Sigmaringen und CVUA Stuttgart) angeliefert und untersucht.
Bei Überschreitung eines Gesamtkeimgehaltes von 100.000 KBE/ml in den Rohmilchproben wurden Nachproben in Form einer Stufenkontrolle angefordert. Diese setzt sich zusammen aus einer Probe aus dem Milchsammeltank des Betriebes, einer Probe, sofern möglich, aus dem Vorratsbehälter des Automaten und schließlich einer Probe wiederum direkt am Auslass des Automaten entnommen. Bei 17 von insgesamt 19 beanstandeten Betrieben wurden derartige Stufenkontrollproben eingesandt und untersucht. Bei einem Betrieb wurde zusätzlich auch der Milchtransporttank und sein Pumpsystem mittels sogenannter Hygienetupfer beprobt, um dessen  Reinigungszustand zu überprüfen. Dieser kleine, fahrbare Transporttank diente der Befüllung des Automaten im freistehenden „Milchhäusle“ auf dem Betriebsgelände des Erzeugerbetriebes.

 

Methoden

Als Methoden für die Untersuchung der Proben wurden die in Tabelle 2 genannten, normierten Methoden verwendet.

 

Ergebnisse

Bei der qualitativen Untersuchung der zur Abgabe an den Verbraucher vorgesehenen Rohmilch wurde bei 19 von 64 Proben (30%) eine Gesamtkeimzahl von maximal100.000 Keimen/ml Milch (s. Tabelle 4) überschritten. Bei 17 von 47 Proben (36%) wurden psychrophile Pseudomonaden in einer Anzahl von über 10.000 KbE/ml nachgewiesen. Der Nachweis dieser Keimgruppe ist stets ein Hinweis auf mangelnde Reinigung des Automatensystems sowie eine zu lange Lagerung der Milch. 
Dabei ist zu bedenken, dass auf Grund der üblichen, zweitägigen Abholung der Milch durch die Molkerei, die Milch aus dem Sammelmilchtank unterschiedlich alt sein kann. Des Weiteren waren in 11 Proben die zu den Hygienekeimen gehörenden Enterobacteiaceae und Escherichia coli nachweisbar. Diese Keimgruppe stellt einen klaren Bezug zur Melkhygiene her.

 

 

Die Untersuchung auf pathogene Keime erfolgte mittels qualitativer Anreicherungsmethoden. Es wurden in keinem Fall Salmonellen nachgewiesen.
Jedoch wurden in einem Fall Campylobacter nachgewiesen. Dabei ist auf die vom Bundesamt für Risikobewertung (BfR) veröffentlichten Ausführungen (3) hinsichtlich der Schwierigkeiten beim Nachweis von Campylobacter spp. hinzuweisen. Wenn Campylobacter in einem für sie ungünstigen Umfeld (d.h. außerhalb des Darmtraktes) vorkommen, sind sie einem oxidativen Stress und einem Kältestress ausgesetzt. Sie sind dann mit Hilfe von Nährmedien nicht mehr nachweisbar, können aber noch eine Infektiosität aufweisen.
Außerdem konnten in drei Fällen VTEC-spezifische Gensequenzen nachgewiesen werden. Eine Anzüchtung und Isolierung der Keime gelang jedoch nicht.
In zwei Fällen wurde Listeria monocytogenes - möglicher Auslöser einer schweren Humanerkrankung - nachgewiesen.

 


*Das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) sieht in seiner Veröffentlichung „Rohmilch: Abkochen schützt vor Infektion mit Campylobacter“ (3)einen Zusammenhang zwischen dem Verzehr von Rohmilch und der Zunahme der Human-Infektionen mit dem Erreger. Gleichzeitig weist es auf die Probleme des Erregernachweises in der Untersuchungsmatrix Milch hin.

 

Zusammenfassung

Der allgemeine Trend des Verbraucherverhaltens geht zum naturbelassenen bzw. unbehandelten Lebensmittel hin, das am besten direkt beim Erzeuger gekauft wird. Im Zuge dieser Entwicklung gibt es immer mehr sogenannte Milchtankstellen auf Bauernhöfen. Durch den Verkauf mit Hilfe von Automaten ist die Rohmilch im Prinzip rund um die Uhr einfach verfügbar. In Verbindung mit der Mobilität der Verbraucher werden auf diese Weise erheblich größere Mengen an Rohmilch verkauft, als bei der Schaffung der restriktiven Erlaubnis des Gesetzesgebers angenommen.
Eine bagatellisierende Bewerbung und Falschaussagen wie auf der Darstellung eines Hinweisschildes auf einem Automaten (Bild 1) dürfen keinesfalls geduldet werden. Auch Darstellungen von rohmilchtrinkenden Kleinkindern oder Zurverfügungstellung von Trinkbechern vor den betreffenden Automaten sind nicht geeignet, ein Bewusstsein der möglichen Risiken zu schaffen.

 

 

Nun ist frische Milch, am besten direkt beim Landwirt gekauft, ein zweifelsfrei wertvolles Lebensmittel. Die Untersuchungen zeigen aber zum wiederholten Male, dass sie nicht uneingeschränkt und für alle Menschen zum Rohverzehr geeignet ist und dass der Erhitzungshinweis deshalb zu beachten ist..
Rohe Milch kann, wie unsere Ergebnisse zeigen, pathogene Keime wie Campylobacter , verotoxinbildende E. coli und krankheitserregende Listerien enthalten. Deshalb sollten insbesondere Risikogruppen wie Kinder, Schwangere, immundefiziente und ältere Menschen sicherheitshalber auf Rohmilch verzichten. Durch den Verzehr können sich unter anderem Durchfall, Erbrechen, Fieber und Herz-Kreislauf-Beschwerden einstellen. Im schlimmsten Falle können diese Symptome und Beschwerden auch ein lebensbedrohliches Ausmaß annehmen.

 

 

Referenzen:

(1)    Verordnung über Anforderungen an die Hygiene beim Herstellen, Behandeln und Inverkehrbringen von bestimmten Lebensmitteln tierischen Ursprungs (Tier-LMHV) vom 8.August 2007 (BGBl. I S.1816,1828) zuletzt geändert durch Art. 2 V.v. 8.3.2016/444

(2)    Verordnung (EG) Nr. 853/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 mit spezifischen Hygienevorschriften für Lebensmittel tierischen Ursprungs, Abschnitt IX: Rohmilch und verarbeitete Milcherzeugnisse, Kapitel I: Rohmilch-Primärproduktion

(3)    BfR: Rohmilch: Abkochen schützt vor Infektion mit Campylobacter
Stellungnahme Nr. 008/2016 des BfR vom 13. April 2016

 

 

Direkter Link zum pdf Dokument

 

 

Artikel erstmals erschienen am 28.04.2017