Rückstände bedenklicher Tropanalkaloide in Kindernahrung

 

 

 

 

 

 

    Atropin                              L-(-)-Scopolamin

 

 

 

 

 

     L-(-)-Hyoscyamin

 

 

   Bilsenkraut (Quelle: Wikipedia)

 

   Stechapfel (Quelle: Wikipedia)

 

   Hirse (Quelle: Wikipedia)

 

Tropanalkaloide (TA) sind natürliche Inhaltsstoffe, die vor allem in Nachtschattengewächsen wie z.B. Bilsenkraut, Stechapfel und Tollkirsche enthalten sind.

 

Mit einem Vorkommen von Tropanalkaloiden ist in Getreidearten wie Hirse und Buchweizen zu rechnen, wenn einzelne Fremdsaaten wie z.B. Samenkörner von Bilsenkraut oder Stechapfel bei oder nach der Ernte nicht sorgfältig genug entfernt werden.

 

Durch Weiterverarbeitung können so Tropanalkaloide auch in Lebensmittel auf Getreidebasis gelangen.

 

Es gibt über 200 verschiedene natürlich vorkommende Tropanalkaloide. Die bedeutendsten Vertreter dieser Substanzgruppe sind (-)-Scopolamin, (-)-Hyoscamin und Atropin, ein Gemisch aus gleichen Anteilen der Stereoisomere (-)-Hyoscamin und (+)-Hyoscamin. Tropanalkaloide können in bereits geringsten Konzentrationen physiologische Wirkungen, wie Erhöhung der Herzfrequenz, Anregung des zentralen Nervensystems, Benommenheit, Kopfschmerzen oder Übelkeit hervorrufen. Einige dieser Alkaloide, z.B. Atropin, werden auch als Arzneimittelwirkstoffe, z.B. in der Notfallmedizin oder der Augenheilkunde eingesetzt.

 

Risikobewertung

 

Das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) schreibt in einer Stellungnahme vom November 2013 zu Tropanalkaloidgehalten in Getreideprodukten [1], dass in niedrigen Dosierungen, die bereits durch Verunreinigungen von Getreideprodukten gegeben sein können, gesundheitliche Beeinträchtigungen möglich sind.

 

Für die Risikobewertung hat die europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) eine akute Referenzdosis (ARfD) als gesundheitsbezogenen Richtwert von 0,016 µg/kg Körpergewicht abgeleitet. Das BfR kommt in seiner Bewertung der EFSA-Stellungnahme zu dem Schluss, dass die von der EFSA abgeleitete Gruppen-ARfD von 0,016 µg je kg Körpergewicht für Tropanalkaloide eine adäquate Basis für eine Bewertung gesundheitlicher Risiken durch mögliche Rückstände in Lebensmitteln seien.

 

Kinder und Säuglinge stellen aufgrund ihres geringeren Körpergewichts und physiologischer Besonderheiten gegenüber Erwachsenen empfindlichere Verzehrsgruppen dar. Deshalb stehen Kinder- und Säuglingsnahrung mit Getreidebeikost besonders im Fokus.

 

Erhöhte Rückstände an Atropin und Scopolamin in Babynahrung mit Hirsebeikost wurden durch das Hessische Landeslabor im November 2014 festgestellt. Dieser Befund löste eine Warnmeldung im europaweiten Schnellwarnsystem aus.

 

Es kam daraufhin zum Rückruf von Produkten von Herstellern aus der Schweiz und aus Deutschland. Auf dem Portal www.lebensmittelwarnung.de wurde öffentlich vor den Produkten gewarnt [2].


Analytik

 

Das CVUA Sigmaringen ist seit 01.09.2014 Zentrallabor für Getreide und Getreideprodukte in Baden-Württemberg. Es wurde kurzfristig eine validierte Methode zum Nachweis von Atropin und Scopolamin in Lebensmitteln erstellt. Dies erfolgte auf Basis des LC-MS/MS-Verfahrens des Hessischen Landeslabors.

 

Zur Korrektur von Wiederfindungsverlusten und matrixbedingten Quenching-Effekten werden die deuterierten Tropanalkaloide Atropin-D3 und Scopolamin-hydrobromid-D3 als interne Standards zu Beginn der Aufarbeitung zugesetzt. Durch die Verwendung eines gepufferten HPLC-Eluenten wurde eine verbesserte Retention der Substanzen auf der HPLC-Säule erreicht.

 

Für die Validierung wurden die Matrices Buchweizenmehl, Hirseflocken und Babybrei mit Hirse verwendet.

 

Es wurden in Zusammenarbeit mit dem CVUA Freiburg (Zentrallabor in Baden-Württemberg für Säuglings- und Kleinkindernahrung) insgesamt 13 Proben Weizenmehl, Hirseflocken, Buchweizenmehl und 4 Proben Kindernahrung mit Hirsebeikost auf Rückstände an Tropanalkaloide untersucht (Stand 22.12.2014).

 

Bei einer Bestimmungsgrenze von 1 µg/kg und einer Nachweisgrenze von 0,5 µg/kg konnten in zwei Proben Babybrei mit Hirse Rückstände an Atropin (14,2 µg/kg und 35,7 µg/kg) sowie Scopolamin (5,3 µg/kg und 15,3 µg/kg) festgestellt werden. (Anm.: die entsprechenden Produkte waren vom Rückruf des Herstellers erfasst).

 

Rückstände in Babybrei und deren lebensmittelrechtliche Beurteilung

 

Die Gutachten zu den zwei Proben Babybrei mit Hirse wurden vom CVUA Freiburg (Zentrallabor in Baden-Württemberg für Säuglings- und Kleinkindernahrung) erstellt.

 

Die Probe mit geringeren Rückständen (Summe Atropin + Scopolamin = 19,5 µg/kg) überschreitet den ARfD-Wert um mehr als das 4-fache und wurde entsprechend Artikel 14 Abs. 1 i.V.m. Art. 14 Abs. 2 b und Art. 14 Abs. 5 der Verordnung (EG) Nr. 178/2002 als für den Verzehr durch den Menschen ungeeignet beurteilt.

 

Die Probe mit den höheren Rückständen (Summe Atropin + Scopolamin = 51 µg/kg) überschreitet den ARfD-Wert um mehr als das 11,5-fache und wurde entsprechend Artikel 14 Abs. 1 i.V.m. Art. 14 Abs. 2 a der Verordnung (EG) Nr. 178/2002 als gesundheitsschädlich beurteilt.

 

Ausblick

 

Das CVUA Sigmaringen arbeitet weiter an der Verfeinerung und Optimierung der analytischen Methode. Mit dem Hessischen Landeslabor ist anhand beiderseitig verfügbarer rückstandshaltiger Laborproben ein bilateraler Laborabgleich geplant. Die Methode wird anhand Materialien einer Laborvergleichsuntersuchung des holländischen LVU-Anbieters RIKILT (Wageningen) getestet.

 

In Abstimmung mit dem CVUA Freiburg werden im Januar 2015 weitere Proben Babynahrung untersucht.

 

Ebenso werden Anfang 2015 weitere Getreideprodukte wie Buchweizen- und Hirsemehl untersucht, die seitens der EFSA mit hoher Priorität hinsichtlich möglicher Rückstände an Tropanalkaloiden eingestuft sind.

 

Weitere Quellen

 

[1]  Stellungnahme Nr. 035/2014 des BfR vom 13. November 2013 zu Tropanalkaloidgehalten in Getreideprodukten 


[2]   http://www.lebensmittelwarnung.de/bvl-lmw-de/app/process/warnung/start/bvllmwde.p_oeffentlicher_bereich.ss_aktuelle_warnungen

 

 

Artikel erstmals erschienen am 20.01.2015