Trinkwasserprojekt - Spur 2020

Kerstin Orbach, CVUA Sigmaringen

 

Am CVUA Sigmaringen wurde unter dem Titel „Spur 2020 – Identifizierung und Vorkommen von neuartigen Mikroverunreinigungen in Trink- und Mineralwasser“ ein vom Ministerium für Ernährung, Ländlichen Raum und Verbraucherschutz (MLR) gefördertes Projekt im Zeitraum von Juni 2020 bis Januar 2022 durchgeführt. Im Rahmen dessen wurden verschiedene Methoden zur Bestimmung von anthropogenen „neuartigen Mikroverunreinigungen“ entwickelt und für die Routineuntersuchungen von Wasserproben vorbereitet.

Schmuckelement Kein anderes Lebensmittel nimmt einen so großen Stellenwert im Leben eines jeden Menschen ein wie Wasser. Jeder Deutsche hat im Jahr 2020 durchschnittlich etwa 5,2 L Wasser pro Tag für Essen und Trinken verbraucht [1]. Damit ergibt sich ein jährlicher Verbrauch von mehr als 1.800 Litern pro Kopf. Angesichts dieser Zahlen ist schnell klar, dass die Qualität von Trinkwasser und die Kontrolle einen hohen Stellenwert einnimmt.
Dabei werden im Trinkwasser neben Inhaltsstoffen, wie Mineralstoffen, auch unerwünschte Stoffe untersucht und kontrolliert. Bei diesen Substanzen handelt es sich beispielsweise um Arzneimittelrückstände, aber auch um Pestizidrückstände, Industriechemikalien oder natürliche Umwelttoxine. Diese Stoffe werden in der Analytik unter Rückständen und Kontaminanten zusammengefasst. Da es sich dabei um viele, sehr verschiedene Substanzen mit unterschiedlichster chemischer Struktur handelt, bedarf es auch vielzähliger Methoden für ihre Untersuchung.
Durch die gängigen Verfahren der Trinkwasseraufbereitung können nicht alle diese eingetragenen Substanzen aus dem Wasser entfernt werden. Außerdem soll das Wasser bei der Aufbereitung so wenig wie möglich behandelt werden. Daher ist im Rahmen der Überwachung die Untersuchung im Trinkwasser sinnvoll und notwendig, um kritische Konzentrationen frühzeitig erkennen und Abhilfemaßnahmen einleiten zu können. Bei welchen Konzentrationen Auswirkungen auf die Gesundheit ggf. zu erwarten sind, ist nicht für alle Stoffe abzuschätzen. Aus diesem Grund ist der vorsorgende gesundheitliche Verbraucherschutz eines der Kernkonzepte der amtlichen Trinkwasserüberwachung.

In Baden-Württemberg wurde die Notwendigkeit zur Entwicklung neuer Methoden für neuartige Spurenstoffe anthropogener Herkunft (siehe Infokasten) erkannt. Daher wurde das Projekt „Spur 2020“ ins Leben gerufen, um die Methodenentwicklung in der amtlichen Trinkwasserüberwachung voranzutreiben. Das Projekt wurde vom MLR gefördert und über einen Zeitraum von 17 Monaten am CVUA Sigmaringen durchgeführt. In dieser Zeit wurden mehrere Methoden für unterschiedlichste Zielsubstanzen entwickelt und nach Möglichkeit bereits auf reale Proben angewendet.
Durch die große Vielfalt der Spurenstoffe bedarf es anpassungsfähiger Methoden, die zuverlässig und leistungsstark sind. Dafür werden hochkomplexe analytische Geräte, sogenannte Massenspektrometer (MS), verwendet. Diese Geräte ermöglichen es, kleinste Mengen von Spurenstoffen nachzuweisen und ihren Gehalt zu bestimmen. Zuvor werden die Probenbestandteile durch unterschiedliche Wechselwirkungen entweder mit Hilfe von Gas (Gaschromatographie) oder Flüssigkeiten (Flüssigchromatographie) getrennt.

Infokasten

„neuartige Mikroverunreinigungen“
Unter „neuartigen Mikroverunreinigungen“ anthropogener Herkunft (direkt oder indirekt durch den Menschen verursacht) kann eine Vielzahl von verschiedenen Stoffen verstanden werden, die sich sowohl in ihren chemischen Eigenschaften als auch in ihren Eintragsquellen stark voneinander unterscheiden. Solche Substanzen oder Substanzgruppen sind beispielsweise in Produkten des täglichen Gebrauchs (Körperpflegeprodukte, Kosmetika) oder in der industriellen Produktion (Flammschutzmittel, Reinigungsmittel) zu finden. Über das Abwasser gelangen sie in die Umwelt und das Grundwasser, das wiederum häufig die Ressource für die Trinkwassergewinnung ist. Auch die zugehörigen Abbau- oder Transformationsprodukte sind zu berücksichtigen und von großer Bedeutung für die Analytik und für die Bewertung von Verunreinigungen des Wassers sowie zur Ableitung von Maßnahmen.

Spurenstoffe im Fokus: Cyanobakterientoxine
Eine der Substanzgruppen, die mittels Massenspektrometrie untersucht wurden, um-fasst die Gruppe der Cyanobakterientoxine. Es handelt sich dabei um Toxine von Cyanobakterien, die verstärkt im Sommer in Oberflächengewässern zu finden sind. Der Allgemeinheit sind Cyanobakterien in der Regel als Blaualgen bekannt und wecken vor allem Assoziationen mit der Sperrung von Badeseen im Sommer [2, 3]. Doch auch in Trinkwasser können Cyanotoxine auftreten, wenn das Rohwasser für die Trinkwasser-gewinnung mit diesen Toxinen belastet ist [3]. Auf Grund von akuten (unmittelbaren) und chronischen (langfristigen) toxischen Effekten ist zum Schutz der Verbraucher eine Kontrolle von Oberflächen- und Trinkwasser auf Cyanotoxine wichtig [4]. Am CVUA Sigmaringen konnte erfolgreich eine Methode zur Bestimmung von 14 Cyanotoxinen entwickelt werden.

 

Badeseewasserproben

Badeseeproben zur Untersuchung auf Cyanotoxine

 

Im Rahmen einer Kooperation mit dem Landesgesundheitsamt (LGA) konnte die Methode in der Praxis angewendet werden. Dabei wurden die offiziellen Badegewässer in Baden-Württemberg während der Sommermonate am LGA auf Cyanobakterien untersucht. Die zugehörige Toxinanalytik wurde am CVUA Sigmaringen durchgeführt. Zur Sicherheit der Badenden wurden einige der Badeseen bei hohen Toxingehalten gesperrt. 

 

Agrarchemikalien
Eine komplett andere Substanzgruppe, für die eine Methode entwickelt wurde, sind Agrarchemikalien. Aus dieser sehr großen Gruppe wurde der Fokus auf Nitrifikationshemmer gelegt. Diese werden in der Landwirtschaft eingesetzt, um den Stickstoff in Düngemitteln länger für die Pflanze verfügbar zu halten. Dadurch kann die Düngemenge reduziert werden. Allerdings sind einige Nitrifikationshemmer (z. B. 1,2,4-Triazol) umstritten, da ihre Auswirkungen auf Umwelt und Gesundheit noch nicht abschließend geklärt sind [5][6]. Für zwei bedeutende Nitrifikationshemmer, 1,2,4-Triazol und Dicyandiamid, wurde eine Analysenmethode entwickelt. Diese zwei Substanzen sind analytisch besonders herausfordernd. Auf Grund ihrer stofflichen Eigenschaften und der geringen Molekülgröße sind sie mit gängigen Methoden nur schwierig zu analysieren. Die Methode am CVUA Sigmaringen ermöglicht es, sie in sehr geringen Konzentrationsbereichen im Trinkwasser zu bestimmen.

 

Laborant

Massenspektometer zur Analyse von Cyanotoxinen, Agrarchemikalien und PMT-Substanzen (LC-MS)

 

Persistente, mobile und toxische (PMT-)Substanzen

Probenvorbereitung

Probenvorbereitung einer Trinkwasserprobe

Neben den Nitrifikationshemmern gibt es weitere Substanzen im Trinkwasser, die eine sehr geringe Molekülgröße aufweisen und sehr gut wasserlöslich sind. Diese Eigenschaften tragen u. a. dazu bei, dass sie bei der Trinkwasseraufbereitung nur bedingt entfernt werden können. Außerdem sind einige dieser Substanzen toxikologisch bedenklich. Zusammenfassend werden diese Substanzen als persistente (P), mobile (M) und toxische (T) Substanzen kategorisiert [7]. PMT-Substanzen erweisen sich als analytisch schwierig, weshalb bis dato wenig geeignete Methoden vorhanden sind. Am CVUA Sigmaringen konnten vielversprechende Testläufe für eine Methode zur Analytik einiger dieser Stoffe unternommen werden. Darunter befindet sich z. B. Melamin, das als Ausgangsstoff zur Herstellung von Kunststoffen und Harzen u. a. in Bedarfsgegenständen Anwendung findet und z. B. über industrielle Abwässer in Oberflächengewässer eingetragen wird. Ein anderes Beispiel ist Metformin, welches ein häufig eingesetztes Antidiabetikum darstellt und so mit dem Abwasser in die Umwelt, sowie schließlich bis ins Grundwasser gelangen kann. Darüber hinaus sollen in Zukunft weitere PMT-Substanzen am CVUA Sigmaringen untersucht werden.

Screening und Multimethode
Eine Vorgehensweise, die in der Analytik verstärkt an Bedeutung gewinnt, ist der Einsatz von Screening- und Multimethoden. In beiden Fällen soll das Spektrum der Substanzen, die analysiert werden können, erweitert werden. Es wird versucht möglichst viele relevante Stoffe in einer Methode zu vereinen. Bei Screening Methoden gibt es außerdem Ansätze für nicht zielgerichtete Analysen, bei denen die Methode nicht auf spezifische Substanzen ausgerichtet ist. Stattdessen sollen möglichst viele, in der Probe enthaltene Stoffe simultan erfasst werden. Im Anschluss sollen dann nur die Substanzen genauer untersucht und mengenmäßig bestimmt werden, die im Screening nachgewiesen worden sind. Damit sollen Zeit und Kapazitäten eingespart und die Untersuchungen sinnvoller eingesetzt werden. Im Rahmen des Projektes wurde mit der Entwicklung einer Multimethode zur Bestimmung von mehr als 35 Substanzen begonnen. Darunter befinden sich z. B. Flammschutzmittel, Weichmacher (Phthalate) oder Industriechemikalien. Perspektivisch soll die Methode zu einer nicht zielgerichteten Screening-Methode ausgebaut werden. Dafür steht am CVUA Sigmaringen ein sehr leistungsfähiges Massenspektrometer (GC-Q-TOF) zur Verfügung, das besonders geeignet ist, um auch sehr ähnliche Moleküle zu differenzieren. Damit soll es in Zukunft möglich sein, vorausschauende Analytik zu betreiben und risikoorientierte Untersuchungen besser planen zu können.

 

Laboranten

Laborarbeiten zur Vorbereitung der Messungen mittels Massenspektrometrie am GC-Q-TOF


Fazit
Durch das MLR-Projekt „Spur 2020“ konnten am CVUA Sigmaringen mehrere Methoden für die Bestimmung von neuartigen Mikroverunreinigungen in (Trink-)Wasser geschaffen werden. Es verbleibt eine Vielzahl weiterer anthropogener Spurenstoffe mit erkennbarer Relevanz für Umwelt und Gesundheit. Der Bedarf an analytischen Methoden und neuen Ansätzen zur Bestimmung solcher Substanzen bleibt bestehen. Dennoch konnte mit dem MLR-Projekt ein weiterer wichtiger Schritt zur Sicherung der Qualität des Trinkwassers und damit zum Schutz der Verbraucher unternommen werden.

 

Literatur:

[1]    BDEW-Wasserstatistik. Trinkwasserverwendung im Haushalt 2020. 13.04.2021 [abgerufen am 19.11.2021; verfügbar unter: https://www.bdew.de/service/daten-und-grafiken/trinkwasserverwendung-im-haushalt/
[2] Fastner, J., et al., Fatal Neurotoxicosis in Dogs Associated with Tychoplanktic, Anatoxina Producing Tychonema sp. in Mesotrophic Lake Tegel, Berlin. Toxins, 2018. 10(2): p. 60.
[3] Merel, S., et al., State of knowledge and concerns on cyanobacterial blooms and cyanotoxins. Environ Int, 2013. 59: p. 303-27.
[4] WHO, Toxic Cyanobacteria in Water - A Guide to Their Public Health Consequences, Monitoring and Management, I. Chorus and M. Welker, Editors. 2021: CRC Press.
[5] Katja Purr, et al. RESCUE - Studie - Wege in eine ressourcenschonende Treibhausgasneutralität. 2019.
[6] Schaffer, M. and R. Schmied, Untersuchungen zum Vorkommen von Nitrifikations- und Ureaseinhibitoren in niedersächsischen Oberflächengewässern. 2019.
[7] Neumann, M. and I. Schliebner, Protecting the sources of our drinking water - A revised proposal for implementing criteria and an assessment procedure to identify Persistent, Mobile and Toxic (PMT) and very Persistent, very Mobile (vPvM) substances registered under REACH, Umweltbundesamt, Editor. 2017.

 

 

 

Artikel erstmals erschienen am 11.10.2022