Wild, wilder, Wildheidelbeeren? – Was ist dran an „wilden“ Lebensmitteln?
Silvia Zechmann
Wer erwartet bei Wildheidelbeeren im ersten Moment nicht ein natürlicheres, naturnäheres Produkt als bei gewöhnlichen Heidelbeeren? Womöglich kommt uns sogar der Gedanke an naturbelassene Wälder oder Heideflächen, in denen die Beeren von wild gewachsenen Sträuchern von Hand gepflückt werden. Ein Stück mehr Natur eben, als wir dies bei „Kulturheidelbeeren“ erwarten würden. Gleichzeitig ist uns aber vermutlich bewusst, dass es so eigentlich nicht sein kann – oder? Was steckt also dahinter, wenn bestimmte Lebensmittel als „wild“ bezeichnet werden?
Abbildung 1–3: Kulturheidelbeeren
Nicht nur Heidelbeeren oder Preiselbeeren sind „wild“ im Angebot. Neben altbekannten Vertretern wie dem Wildlachs oder dem Wildbret, die den Begriff „wild“ bereits im Namen tragen, werden vermehrt auch Kräuter und Gemüse als „wild“ bezeichnet. Von wildem Rosmarin, Lavendel oder auch Majoran ist dann die Rede und in manch einem Supermarkt kann man sich den frischen Wildkräutersalat fertig abgepackt direkt aus dem Kühlregal mit nach Hause nehmen. Wilder Brokkoli vom Markt wiederum soll eine besondere Delikatesse sein und auch von wilden Kartoffeln hat der ein oder andere vielleicht schon einmal gehört.
Tatsächlich scheint der Begriff wild zurzeit sehr beliebt zu sein. Einige Quellen sprechen sogar von einem neuen Ernährungstrend, in dem wild wachsende Nahrungsmittel im Fokus stehen und der als „Wild Food" (engl. für „wilde Lebensmittel“) bezeichnet wird. In der Tat gibt es bereits Kochbücher und Rezeptsammlungen die das Thema des „Wild Food“ aufgreifen.
Sicher ist: Wild ist nicht gleich wild und nicht immer hat der Begriff eine im Lebensmittelrecht festgelegte, bindende Bedeutung. Aus diesem Grund können Begrifflichkeit und Verbrauchererwartung durchaus weit auseinanderliegen.
Infokasten
Was macht Wildpflanzen aus?
Botanisch gesehen, werden für gewöhnlich diejenigen Arten von Pflanzen als Wildpflanzen angesehen, die im Gegensatz zu Kultursorten ohne menschlichen Einfluss entstanden sind und auch ohne seine Unterstützung frei in der Natur gedeihen können. Dieses Verständnis von Wildpflanzen spiegelt die Auffassung vieler Verbraucher wieder. Produkte und Früchte dieser Wildpflanzen würden entsprechend auch als wild bezeichnen werden. Beispiele hierfür sind etwa die Wildformen der Linse oder verschiedener Beerenpflanzen. Obwohl die ursprünglicheren Arten dabei in der Regel robuster sind, werden Kultursorten unter anderem auf Grund schönerer Früchte, höherer Erträge oder unkomplizierterer Kultivierung oft bevorzugt angebaut. Allerdings bedeutet dies nicht, dass nicht auch Wildformen angebaut, kultiviert und ihre Früchte regulär vermarktet werden können. Entsprechend kann von der Silbe „wild“ nicht automatisch auf eine bestimmte (oder gar ökologische) Anbaumethode geschlossen werden.
Wilde Beeren unter die Lupe genommen
Welche Beerenpflanzenarten in Deutschland als Wildformen angesehen werden, ist u. a. in den beschreibenden Sortenlisten oder etwaigen weiteren Veröffentlichungen des Bundessortenamtes beschrieben [1]. Darüber hinaus enthält das Deutsche Lebensmittelbuch (siehe Infokasten) in den Leitsätzen für Obsterzeugnisse [2] neben den Verkehrsbezeichnungen eine Auflistung der Beerenarten und für Preiselbeeren, Heidelbeeren und Brombeeren auch Angaben dazu, welche davon als „wild“ angesehen werden können. Bei tiefgefrorenen Brombeeren z. B. werden etwa ausschließlich Früchte der verbreiteten Kultur- und Sammelart Rubus fruticosus L. erwartet. Bei der Verwendung von Wildformen muss hingegen in der Bezeichnung des Lebensmittels darauf hingewiesen werden.
Bei Preiselbeeren, wie sie etwa zu gebackenem Camembert gereicht werden, handelt es sich wiederum sowohl bei Preiselbeeren, als auch bei Wildpreiselbeeren stets um die Früchte derselben Pflanzenart (Vaccinium vitis-idaea L.).
Infokasten
Deutsches Lebensmittelbuch
Die Deutsche Lebensmittelbuch-Kommission erarbeitet sogenannte Leitsätze für Produkte, die in Rechtsvorschriften nicht näher beschrieben sind. In den Leitsätzen ist die allgemeine Verkehrsauffassung für mehr als 2000 Lebensmittel niedergeschrieben. Sie bearbeiten Fragen wie „Wie hoch ist der Erdbeeranteil in einem Erdbeereis“ oder „Was ist ein Stockschwämmchen“ und sollen damit Verbraucherinnen und Verbraucher vor Täuschung bei Lebensmitteln bewahren und Transparenz und Klarheit im Verkehr mit Lebensmitteln sicherstellen.
Es gibt 23 Leitsätze u.a. zu folgenden Produktgruppen:
- Brot und Kleingebäck
- Fisch und Fischerzeugnisse
- Fleisch und Fleischerzeugnisse
- Fruchtsaft und Fruchtnektar
- Gemüseerzeugnisse
- Gemüsesaft und Gemüsenektar
- Kartoffelerzeugnisse
- Obsterzeugnisse
- Speiseeis
- Speisefette und Speiseöle
- Speisepilze und Speisepilzerzeugnisse
Nähere Auskunft gibt eine Broschüre des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft oder die offizielle Seite der Deutschen Lebensmittelbuch-Kommission.
Deutlich schwieriger liegt der Fall bei Heidelbeeren, insbesondere bei möglicherweise wild gewachsenen Heidelbeeren. Ursprünglich wurden in Deutschland die Früchte der Heidelbeerart mit dem botanischen Namen Vaccinium myrtillus L. aus der Sektion Myrtillus als Heidelbeeren, Blaubeeren oder Waldheidelbeeren bezeichnet. Diese Art der Heidelbeere ist überwiegend in Europa heimisch. In einigen Fällen, insbesondere bei Tiefkühlprodukten, werden diese Früchte auch als Wildheidelbeeren bezeichnet. Dies wurde in die neuen Leitsätze für Obsterzeugnisse aus dem Jahr 2022 für Tiefkühl-Heidelbeeren so auch mit aufgenommen*. Eine Bezeichnung als „Wildheidelbeeren“ oder „Waldheidelbeeren“ bedeutet allerdings nicht automatisch, dass die Früchte tatsächlich wild und ohne jeglichen Einfluss des Menschen gewachsen sind (siehe dazu auch Tabelle 1). Im Gegensatz zu Waldheidelbeeren gehören die großfruchtigen Kulturheidelbeeren botanisch betrachtet zur sogenannten Cyanococcus Sektion. Viele Arten dieser Sektion stammen ursprünglich vom nordamerikanischen Kontinent. Sie machen den überwiegenden Anteil der in Deutschland angebotenen, frischen Heidelbeeren aus. Ein wichtiges Beispiel dafür ist die Art Vaccinium corymbosum L.
Infokasten
Pflanzennamen
Der wissenschaftliche Artname einer Pflanze besteht aus zwei Teilen. Das erste Wort bezeichnet die Gattung, zu der die Pflanze gehört, und das zweite Wort ist das sogenannte Artepitheton. Beide Wörter zusammen bezeichnen dann die Art (Spezies).
Diese so genannte „Binäre Nomenklatur“ geht auf Carl von Linné (1753) zurück, der sie erstmals konsequent verwendete. Hat Linné eine Pflanze als erster beschrieben, wird als Hinweis darauf dem Artnamen häufig noch ein L. für „Linné“ oder das Autorenkürzel des entsprechenden Botanikers angefügt.
In der botanischen Taxonomie oder Nomenklatur sind den Gattungen die Pflanzenfamilien, wie z. B. die Kreuzblütengewächse (Brassicaceae), übergeordnet. Den Gattungen untergeordnet sind wiederum die Arten. Existieren sehr viele Arten, können verwandte Arten zu Sektionen zusammengefasst werden. Arten selbst hingegen können weiter in Unterarten, sog. Subspezies (abgekürzt subsp.) unterteilt werden.
Über die allgemeine, grundlegende Nomenklatur hinaus können gerade bei gezüchteten Pflanzen noch Varietäten (abgekürzt var.) unterschieden werden. So sind z. B. sowohl Brokkoli als auch Rosenkohl dem Gemüsekohl mit dem Artnamen Brassica oleracea zuzuordnen. Sie unterscheiden sich jedoch auffällig und erhalten als Varietäten des Gemüsekohls die Ergänzung var. italica und var. gemmifera.
Weiterhin gibt es noch Sorten die durch Züchtung oder Auslese entstehen, am besten bekannt vielleicht bei Apfel- oder Kartoffelsorten.
Bei frischen Beeren gelten Vermarktungsnormen. Gemäß der deutschen Übersetzung der UNECE-Norm FFV-57 [3] findet ausschließlich eine Unterscheidung zwischen Heidelbeeren und Kulturheidelbeeren statt. Dabei wird in den Begriffsbestimmungen als Heidelbeere nur die Waldheidelbeere (Vaccinium myrtillus L.) aufgeführt, andere Heidelbeerarten hingegen werden als Kulturheidelbeeren geführt.
Die zahlreichen neuen Kultursorten von Heidelbeeren, die in aller Regel durch Züchtung entstanden sind, werden weder in Rechtsvorschriften noch in den Vermarktungsnormen erwähnt. Bei diesen Neuzüchtungen handelt es sich häufig um polyploide Hybride (Vervielfachung der Chromosomensätze) aus Kreuzungen nordamerikanischer Arten der Sektion Cyanococcus, wie etwa Vaccinium corymbosum L. oder Vaccinium angustifolium, in denen mehrere Chromosomensätze verschiedener Arten gemeinsam in einer Pflanze vorliegen. Die so ausgestatteten Pflanzen weisen einen höheren Wuchs und größere Früchte auf. Die größere Wuchshöhe erleichtert wiederum eine maschinelle Bearbeitung in der Kultivierung und bei der Ernte. Dies ist bei den in Bodennähe wachsenden Sträuchern der Waldheidelbeeren kaum der Fall. Auch stellen Waldheidelbeerpflanzen konkretere Ansprüche an ihren Standort, während sie gleichzeitig empfindlichere Früchte und einen geringeren Ertrag hervorbringen.
Im Gegensatz zu den typischen Kulturheidelbeeren sind die Früchte der ursprünglichen Waldheidelbeerpflanzen (Vaccinium myrtillus L.) zudem oft kleiner, werden dafür aber als geschmacksintensiver beschrieben. Den auffälligsten Unterschied zwischen den beiden Beerenarten stellt die unterschiedliche Färbung des Fruchtfleisches dar. Während Kulturheidelbeeren oft ein farbloses Fruchtfleisch aufweisen und sich die intensiv blau-lila färbenden Anthocyane fast ausschließlich in der Schale befinden, sind die Pflanzenfarbstoffe bei Waldheidelbeeren auch im Fruchtfleisch deutlich sichtbar [4] (siehe Abbildung 4).
Abbildung 4: Querschnitt einer Waldheidelbeere (links) und einer Kulturheidelbeere (rechts)
Trotz dieses Unterschiedes ist es nicht immer leicht die Beeren optisch eindeutig den Kulturheidelbeeren oder den ursprünglichen Waldheidelbeeren zuzuordnen, insbesondere, wenn es sich nicht um frische Beeren handelt. Noch schwieriger wird es, wenn neben Vaccinium myrtillus L. und Vaccinium corymbosum L. oder Vaccinium angustifolium noch unter weiteren Arten unterschieden werden soll. Wir setzen hier zur Artbestimmung inzwischen die innovative MALDI-ToF-Massenspektrometrie ein, mit der wir viele Heidelbeerfrüchte im Zweifel der jeweiligen Art oder Sektion eindeutig zuordnen können [4, 5, 6]. Genaueres zur analytischen Bestimmung und zum Thema Lebensmittelbetrug in Verbindung Waldheidelbeererzeugnissen findet sich in unserem Internetbeitrag „Lebensmittelbetrug bei Waldheidelbeererzeugnissen“.
Tabelle 1 gibt einen Überblick über die Pestizidbelastung von Heidelbeeren aus ökologischem Anbau im Vergleich zu Heidelbeeren aus konventionellem Anbau und Heidelbeeren, die als Wildheidelbeeren vermarktet wurden. Ausgewertet wurde über den Zeitraum der vergangenen 5 Jahre. Während sich die Bio-Heidelbeeren in ihrer Rückstandsbelastung und dabei insbesondere in der Höhe ihrer Rückstände deutlich von konventionellen Heidelbeeren unterscheiden, fällt der Unterschied zwischen untersuchten konventionellen Heidelbeeren und Wildheidelbeeren geringer aus. Was die Rückstandsbelastung an Pestiziden betrifft unterscheiden sich hier etwa die Hälfte der Wildheidelbeerproben nicht von den untersuchten Bio-Heidelbeerproben. In der anderen Hälfte der Wildheidelbeerproben wurde jedoch eine ähnliche Pestizidrückstandsbelastung wie in den untersuchten gewöhnlichen, nicht als „wild“ bezeichneten, konventionellen Heidelbeeren festgestellt.
Bio-Heidelbeeren
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Konventionelle Heidelbeeren
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davon konventionelle Wildheidelbeeren
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|
---|---|---|---|
Anzahl der Proben (davon Anzahl der TK-Produkte) |
30 (6 TK)
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218 (34 TK)
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15 (14 TK)
|
Proben mit Rückständen über 0,01 mg/kg* |
1 (3,3 %)
|
209 (96 %)
|
8 (53 %)
|
Proben mit Rückständen nur unter 0,01 mg/kg* |
12 (40 %)
|
2 (0,9 %)
|
7 (47 %)
|
Proben mit Mehrfachrückständen |
0
|
190 (87 %)
|
8 (53 %)
|
durchschnittliche Anzahl der Rückstände pro Probe |
0,47
|
4,6
|
3,1
|
mittlerer Pestizidgehalt pro Probe (mg/kg) |
0,009
|
0,19
|
0,13
|
Proben mit Rückständen über der Höchstmenge |
0
|
5 (2,3 %)
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0
|
Infokasten
Bio-Orientierungswert
Bei der Herstellung von Erzeugnissen aus ökologischem Landbau ist eine Anwendung chemisch-synthetischer Pestizide praktisch nicht erlaubt (Positivliste der EU-Öko-Verordnung). Neben den allgemein gültigen Pestizidrückstandshöchstgehalten (gemäß der VO (EG) Nr. 396/2005), die auch für konventionelle Ware herangezogen werden, gibt es allerdings keine zusätzlichen, speziell für Bio-Produkte gültigen Höchstgehalte.
Angesichts der hohen Messempfindlichkeit der Nachweismethoden muss ein Bio-Produkt, das nachweisbare Rückstände von Pflanzenschutzmitteln enthält, aber nicht zwangsläufig unzulässig behandelt oder mit konventioneller Ware vertauscht oder vermischt worden sein.
Daher wird für die Beurteilung von Pestizidrückständen in Bio-Produkten der sog. „Orientierungswert“ von 0,01 mg/kg herangezogen. Wichtig hierbei ist, dass 0,01 mg/kg keinen Grenzwert darstellt, bei dessen Überschreiten feststeht, dass das Produkt nicht entsprechend der Regeln der Öko-Verordnungen erzeugt wurde. Vielmehr handelt es sich um einen Schwellenwert, bei dessen Überschreitung festgestellt werden muss, woher die Rückstandsbelastung stammt. In aller Regel sind bei regelkonform erzeugten Bio-Produkten, auch unter Berücksichtigung von Abdrift und Umweltkontamination, keine bestimmbaren Rückstände über dem „Orientierungswert“ von 0,01 mg/kg zu erwarten.
Festgestellte Rückstandsgehalte, die statistisch gesichert oberhalb dieses Orientierungswertes liegen, sind ein Hinweis darauf, dass die Vorgaben der Öko-Verordnungen nicht eingehalten oder konventionelle Waren umdeklariert wurden. In diesen Fällen werden die untersuchten Proben hinsichtlich ihrer Bio-Auslobung als irreführend beurteilt. Den zuständigen Öko-Kontrollstellen obliegt es, den Sachverhalt zu prüfen.
Wildes Gemüse
Dass mit „wilden Kartoffeln“ (im Engl. „country potatoes“) in der Regel nur die auf eine bestimmte Art zubereiteten Kartoffelspalten gemeint sind, ist vermutlich dem ein oder anderen bekannt. Zwar gibt es weltweit und insbesondere in Südamerika viele alte und auch wildwachsende Kartoffelsorten, diese schaffen es jedoch noch nicht bis in unsere Supermärkte.
Wie aber sieht es mit wildem Brokkoli aus? Dieses Gemüse ist mittlerweile auch hierzulande im Lebensmittelhandel erhältlich, gerade auf Wochenmärkten oder im Feinkosthandel wird man durchaus fündig. Anders als es bei der Bezeichnung „Wilder Brokkoli“ vielleicht zu erwarten wäre, stellt in diesem Fall allerdings der vom Blumenkohl abstammende, gewöhnliche Brokkoli* die ältere Pflanzenvariante dar. Die mitunter als „Wilder Brokkoli“ bezeichnete Gemüsepflanze entstand hingegen erst 1993 durch die Kreuzung des gewöhnlichen Brokkolis (Brassica oleracea var. italica) mit dem Chinesischen Brokkoli (Kai-lan; Brassica oleracea var. alboglabra). Neben „Wilder Brokkoli“ sind „Baby-Brokkoli“, „Stangenbrokkoli“, „Spargelbrokkoli“ gängige Bezeichnungen für dieses Gemüse. Darüber hinaus existieren noch Weitere, darunter auch geschützte Markennamen wie „Bimi®“ oder „Brokkolini®“.
Doch aufgepasst, noch häufiger wird die Bezeichnung „Wilder Brokkoli“ auch für Stängelkohl (Brassica rapa var. cymosa) verwendet. Hierbei handelt es sich um ein in Italien seit Generationen beliebtes und verbreitetes Gemüse, welches dort unter dem Namen „Cima di rapa“ bekannt ist. Auch in Deutschland wird mitunter auf den italienischen Begriff für Stängelkohl zurückgegriffen, geläufiger sind jedoch die Bezeichnungen „Wilder Brokkoli“ und „Spargelbrokkoli“. Auch dieses Gemüse wird hierzulande bisher überwiegend auf Wochenmärkten angeboten.
In ihrer Form sind beide „wilden Brokkoli-Gemüse“ länglicher als gewöhnlicher Brokkoli (siehe Fotos). Geschmacklich gesehen wird das Kreuzungsprodukt „Wilder Brokkoli“ (Kreuzung aus gewöhnlichem Brokkoli und Chinesischem Brokkoli) im Vergleich zu gewöhnlichem Brokkoli als deutlich milder beschrieben. Der Stängelkohl hingegen kann einen leicht scharfen und etwas bitteren Geschmack aufweisen. Zudem schmeckt er etwas mehr nach Kohl, als dies bei gewöhnlichem Brokkoli der Fall ist.
Abbildungen 5 und 6: Brokkoli (links) und Kai-lan (rechts)
Abbildungen 7 und 8: Wilder Brokkoli (Spargelbrokkoli, links) und Wilder Brokkoli (Cima di rapa, Stängelkohl, rechts)
Bei wilden Möhren, die mitunter auch als wilde Karotten bezeichnet werden, ist der Sachverhalt ähnlich wie bei wildem Brokkoli. Auch hier spielen verschiedene verwandte Arten des Wurzelgemüses eine Rolle. Genauer gesagt, ist die Wilde Möhre (Daucus carota subsp. carota) eine Pflanzenunterart der gewöhnlichen Möhre (Daucus carota). Die ebenfalls essbare, aber bleiche Wurzel der Wilden Möhre enthält dabei deutlich weniger färbende Carotinoide als etwa die uns bekannteste Unterart der Möhre, die Karotte (Daucus carota subsp. sativus).
Bei den stark gefärbten, nicht orangefarbenen Möhren handelt es sich im Gegensatz dazu oft um Varianten besonders alter, wieder entdeckter und neu aufgegriffener Möhrensorten. Dabei können Form und Farbe der Wurzel je nach Sorte sehr unterschiedlich ausfallen. Einige Wurzeln weisen eine durch wasserlösliche Anthocyane dominierte Färbung auf. Sie kann vom Hell- oder Tiefrot bis ins dunkle Lila reichen, so dass die Möhren fast schwarz erscheinen. Der Geschmack dieser stark gefärbten Möhren ist häufig besonders intensiv. Die Färbung von Möhrensorten mit orangener oder hellgelber Wurzel hingegen ist nicht auf Anthocyane, sondern auf Pflanzenfarbstoffe aus der Gruppe der fettlöslichen Carotinoide zurückzuführen. Diese Möhren gelten als sehr mild im Geschmack. Während orangefarbene Wurzeln dabei beispielsweise höhere Gehalte des Carotinoids Carotin enthalten, überwiegen in gelbfarbigen Möhrensorten eher gelb-färbende Carotinoide, wie beispielsweise das Lutein.
Abbildung 9: bunte Möhren
Der wilde Spinat wiederum hat mit dem Echten Spinat (Spinacia oleracea L.) nur wenig gemeinsam. Es handelt sich dabei um zwei gänzlich unterschiedliche Pflanzen die sich in Art und Gattung unterscheiden. Allerdings können die jungen Blätter beider Pflanzen wie gewöhnlicher Spinat verwendet und verzehrt werden. Der Wilde Spinat wird auch als Guter oder Grüner Heinrich bezeichnet (Chenopodium bonus-henricus L.).
Abbildungen 10 und 11: (echter) Spinat (links) und Wilder Spinat (rechts)
Wilde Kräuter
Abbildung 12: Kräuter
Wie bereits erwähnt, werden insbesondere ältere Pflanzenarten von Minzen, Rosmarin, Lavendel, Oregano oder Majoran, aber auch andere Kräuterpflanzen gerne als wild bezeichnet. Die Pflanzenarten können dabei durchaus ohne Züchtung oder anderen menschlichen Einfluss entstanden sein und auch frei in der Natur vorkommen. Die zum Kauf angebotenen Pflanzen oder ihre Produkte stammen jedoch in der Regel nicht tatsächlich von wild gewachsenen Pflanzen, denn auch wilde Arten lassen sich für gewöhnlich leicht kultivieren.
Darüber hinaus existieren Kräuter, die leicht missverständliche Namen tragen. Ein prominentes Beispiel dafür ist der mit „Wildem Majoran“ bezeichnete Origanum vulgare L. So stammt dieser zwar aus der gleichen Pflanzengattung wie der echte Majoran (Origanum majorana L.), gemeint ist allerdings die Pflanze, welche allgemeinhin als „Oregano“ bekannt ist.
…und was hat es dann mit Wildgemüse und Wildkräutern im Gegensatz zu wildem Gemüse und wilden Kräutern auf sich?
Abbildung 13: Wildkräuter
Bei Wildgemüse und Wildkräutern spricht man ebenfalls nur von Pflanzenarten und Sorten, die ohne Einfluss des Menschen entstanden sind. Zusätzlich dazu sind in diesem Fall aber nur diejenigen Pflanzen gemeint, die tatsächlich wild gewachsen sind, krautig bleiben (also nicht verholzen) und dem Menschen als Nahrungspflanze oder auch als Heilpflanze dienen können.
Ein beliebtes Beispiel sind beispielsweise Gänseblümchen. Beinahe jeder kennt sie, die wenigsten würden jedoch auf die Idee kommen, sich die kleinen weißrosa Blüten in den Salat zumischen.
In früheren Zeiten war der Einsatz und das Wissen über den Nutzen dieser Pflanzen für die Menschen viel größer und weiter verbreitet als dies heutzutage der Fall ist. Nicht nur, aber insbesondere bei Nahrungsmittelknappheit, trugen sie zur Ernährung der Bevölkerung bei oder dienten als Hausmittel der Behandlung gängiger Erkrankungen und Beschwerden. Werden dabei im Allgemeinen kleinere Mengen und überwiegend zur Geschmacksgebung verwendet, bezeichnet man sie als Wildkräuter, während bei größeren Verzehrsportionen eher von Wildgemüse die Rede ist. Bei der Verwendung in Hausmitteln spricht man darüber hinaus auch von Heilkräutern.
Einige dieser ehemals bereits genutzten Pflanzen werden heutzutage wieder neu entdeckt: Waldmeister als geschmackliches Extra für die selbstgemachte Limonade, Spitzwegerich oder Brennnesseln für die ganz persönliche Teemischung, Bärlauch für Pesto oder Kräuterbutter, Sauerampfer als Suppeneinlage oder Giersch als Gemüsebeilage. Dies sind nur einige wenige der aktuell gern genutzten Wildpflanzen.
Bevor man beginnt Wildkräuter selbst zu sammeln, sollte man sich allerdings gründlich über mögliche Verwechslungsgefahren informieren (wie etwa bei Bärlauch die ähnlichen, aber giftigen Maiglöckchen). Darüber hinaus ist ein geeigneter Standort nicht unerheblich. So sollten Gegenden mit hoher Umweltbelastung, wie etwa durch die Nähe zu viel befahrenen Straßen, aber auch ausgewiesene Naturschutzgebiete gemieden werden.
Unabhängig davon, ob die zunehmende Beliebtheit essbarer, wildwachsender Pflanzen als neuer Trend des „Wild Food“ verstanden wird oder einfach als Gebrauch wiedererlangten Wissens: Immer mehr Menschen interessieren sich dafür, was die Natur uns bietet, und das darf dabei gerne auch noch gesund und schmackhaft sein.
Zu guter Letzt noch kurz erklärt: Wildpilze, Wildblütenhonig, Wildlachs und Wild(-fleisch)
Abbildungen 14 bis 17: Pilz, Honig, Lachs, Wild
Ähnlich wie Wildkräuter werden auch wild wachsende Pilze vermehrt in der freien Natur gesammelt. Mindestens genauso wichtig wie bei den Wildkräutern ist auch hier die genaue Kenntnis über die gesammelten Pilze sowie ihre giftigen Doppelgänger. Aber auch auf den Artenschutz muss beim Pilze sammeln besonders geachtet werden.
Bei Pilzen wird unterschieden zwischen Kulturpilzen (oder Zuchtpilzen) und Wildpilzen, die nicht aktiv gezüchtet wurden, sondern wild gewachsen sind. Arten üblicher Speisepilze sind auch in den Leitsätzen des Deutschen Lebensmittelbuchs für Speisepilze und Speisepilzerzeugnisse aufgeführt.
Einige Speisepilze wie Steinpilze oder Pfifferlinge wachsen nur in Symbiose mit lebenden Bäumen und können daher nicht gezüchtet werden. Solche Pilzarten kommen im Handel ausschließlich als gesammelte Wildpilze vor. Andere Speisepilze, wie etwa Champignons, Austernseitling oder Shii-Take Pilze, leben durch Zersetzung organischer Substanz und können für den Handel gezüchtet werden. Wo es möglich ist, wird im Handel in aller Regel auf Zuchtpilze zurückgegriffen. Der Anbau in den isolierten Pilzzuchtanlagen ist ganzjährig möglich, effektiver und daher auch kostengünstiger. Zusätzlich ist eine Verwechslung mit giftigen Doppelgängern in den Zuchtanlagen ausgeschlossen.
Im Gegensatz zu Zuchtpilzen können Wildpilze abhängig von Pilzart und Standort mit Schwermetallen und Radioaktivität belastet sein, daher sollen Wildpilze nur in Maßen verzehrt werden.
Wildblütenhonig ist ein Honig, für den Bienen ausschließlich den Nektar aus Blüten von Wildpflanzen gesammelt haben, die wildwachsend und nicht kultiviert sein dürfen. Dies kann sichergestellt werden, indem der Bienenstock nur in Gegenden aufgestellt wird, in denen Wildpflanzen vorherrschen. Gemäß den Leitsätzen des Deutschen Lebensmittelbuches für Honig (siehe Infokasten) sind Wildpflanzen in diesem Fall alle in diesem Herkunftsgebiet vom Menschen nicht kultivierte Arten. Entsprechende Gebiete findet man in Deutschland heutzutage beispielsweise in den Alpenregionen oder im Mittelgebirge.
Auch bei Wildlachs und Wildfleisch entscheidet der Lebensraum darüber, wie der Begriff „Wild“ verwendet werden darf. So wird ein als „Wildlachs“ bezeichneter Lachs ausschließlich in der freien Natur gefangen. Das Fleisch von Wild, wie etwa Reh oder Wildschwein, ist bei Gehegehaltung als „Farmwildfleisch“ zu bezeichnen. Die Bezeichnung „Wildbret“ wiederum ist dem Fleisch freilebender, erlegter Tiere vorbehalten. Darüber hinaus ist sowohl bei „Farmwildfleisch“ als auch bei „Wildbret“ stets noch die Tierart zu ergänzen.
Fazit
Wild ist nicht gleich wild und eine allgemein gültige Definition des Begriffs gibt es bei Lebensmitteln nicht. Ob er sich daher im Einzelfall auf eine bestimmte, ursprüngliche Pflanzenart bezieht oder darauf, dass eine Pflanze ohne den Einfluss des Menschen in der freien Natur wild gewachsen ist, muss von Fall zu Fall entschieden werden. Sicher ist, allein von der Bezeichnung wild kann nicht automatisch auf eine bestimmte Anbaumethode oder gar auf einen ökologischen Anbau geschlossen werden.
Bildernachweis
1 bilberries-2559051_1920. Bild von StockSnap auf Pixabay
2 blueberries-7584443_1920 Bild von 好梦藏 auf Pixabay
3 blueberries-3632707_1920 Bild von Bruno auf Pixabay
4 Wild vs. Kulturheildelbeere, Zechmann
5 broccoli-1238250_1920 Bild von Robert Owen-Wahl auf Pixabay
6 Kai-lan iStock-1403858540
7 Spargelbrokkoli iStock-841833252
8 Stängelkohl iStock-1365196068
9 Carrots of many colors, Wikipedia (public domain), ursprünglich vom Agricultural Research Service
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11 Guter Heinrich iStock-2162226428
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15 honey-1958464_1920 Bild von Дарья Яковлева auf Pixabay
16 Loch Duart Salmon, Market Hall, Rockridge, Wikimedia Commons (Creative Commons Attribution 2.0 Generic license)
17 deer-8052359_1920 Bild von Linda Janes auf Pixabay
Quellen
1. Bundessortenamt, abgerufen am 04.11.2024
2. Deutsche Lebensmittelbuch-Kommission, abgerufen am 04.11.2024
3. UNECE, abgerufen am 04.11.2024
6. CVUA Stuttgart, Tränkle K., Rau J., Lebensmittelbetrug bei Waldheidelbeererzeugnissen, abgerufen am 27.11.2024