Alpakas und der Erreger der Pseudotuberkulose – eine tödliche Geschichte
Reinhard Sting, Ekkehard Hiller, Verena Hörz
Das Bakterium Corynebacterium (C.) pseudotuberculosis ist bei Schaf- und Ziegenhaltern als Erreger der Pseudotuberkulose wohlbekannt. Die Pseudotuberkulose ist durch die Bildung von Abszessen in oberflächlichen und tiefen Lymphknoten sowie inneren Organen infizierter Tiere charakterisiert. Todesfälle sind nicht selten. Im Gegensatz zu Schaf und Ziege wird die Pseudotuberkulose bei Kameliden (Trampeltier, Dromedar, Alpaka, Lama) trotz zunehmender Tierzahlen weniger wahrgenommen. Es sollen deshalb in diesem Artikel neue Erkenntnisse und Besonderheiten des Pseudotuberkulose-Erregers bei verschiedenen Tierarten mit besonderem Blick auf Kameliden präsentiert werden. Die neuen Erkenntnisse sollen als Beitrag zur Tiergesundheit und Tierschutz helfen, Pseudotuberkulose-Infektionen gezielter zu bekämpfen.
Corynebacteium pseudotuberculosis
Das Bakterium C. pseudotuberculosis (Abbildung 1) ist die Ursache der Infektionskrankheit Pseudotuberkulose, die weltweit vor allem Schafe und Ziege, aber ebenso Kameliden wie Trampeltiere und Dromedare (Altweltkameliden) sowie Alpakas und Lamas (Neuweltkameliden) betrifft. Die zunehmende Haltung insbesondere von Alpakas lässt eine Zunahme von Pseudotuberkulose-Infektionen befürchten.
Abbildung 1: Corynebacterium pseudotuberculosi-Kultur auf Schafblutagar, angezüchtet aus dem Inhalt eines Abszesses eines Alpakas (Bakteriologie CVUA Stuttgart)
C. pseudotuberculosis verursacht chronische, auszehrende Infektionskrankheiten. Diese führen bei infizierten Tieren zu äußerlich sichtbaren Abszessen der Lymphknoten und zu Abszessen in inneren Organen (Abbildung 2). Die Folgen sind Siechtum und plötzliche Todesfälle infizierter Tiere.
Abbildung 2: Corynebacterium pseudotuberculosis-Infektionen bei Alpakas mit Abszessen am Oberkiefer (links oben), in der Haut (rechts oben), der Leber (links unten) und der Milz (rechts unten) (Dr. Wolfram Rietschel, Pathologie CVUA Stuttgart)
Eine wirkungsvolle Behandlung der Pseudotuberkulose ist bisher nicht möglich, so dass es oberstes Ziel sein muss, deren Ausbreitung zu verhindern. Dies ist auf der Grundlage von Überwachungsprogrammen zur Bekämpfung der Pseudotuberkulose möglich [1, 2]. Die notwendigen Methoden zum Nachweis des Erregers und dessen sichere Identifizierung sowie Tests für den Nachweis von Antikörpern gegen C. pseudotuberculosis sind in unserem von der DVG (Deutsche Veterinärmedizinische Gesellschaft) benannten Konsiliarlabor für Corynebacterium pseudotuberculosis für Schafe, Ziegen und Kameliden etabliert [3, 4, 5, 6, 7].
Die Ausbreitung von Infektionen zu verhindern, ist ein wichtiges Ziel. Daher ist die Entschlüsselung von Infektionsquellen und Übertragungswegen zwischen einzelnen Tieren sowie Tierarten (Epidemiologie) als Basis von Überwachungsprogrammen unverzichtbar. Es gibt jedoch derzeit nur wenige Studien, die C. pseudotuberculosis-Isolate von Kameliden mit denen anderer Tierarten vergleichend untersuchen. Dies war für uns Anlass, C. pseudotuberculosis-Isolate verschiedener Tierarten mit Schwerpunkt auf Kameliden genetisch zu charakterisieren. Ziel war es, mit Hilfe moderner molekularbiologischer Methoden wie der Gesamtgenomsequenzierung (Whole-Genome Sequencing, WGS) und vergleichenden molekularbiologischen Analysen Verwandtschaftsgrade von C. pseudotuberculosis-Isolaten und somit Infektionswege und Erregerreservoire aufzudecken (molekulare Epidemiologie).
Bisher wurden CPS-Isolate auf Grund ihrer Reaktion in einem biochemischen Test (Nitrat-Reduktase-Test, siehe Infokasten) ausschließlich in die Biovare Ovis und Equi eingeteilt. Isolate des Biovars Ovis findet man vor allem bei Schaf und Ziege, Isolate des Typs Biovars Equi bei Pferden überwiegend in den USA und Wasserbüffeln in Ägypten. Unsere Untersuchungen zur molekularen Epidemiologie von C. pseudotuberculosis ergaben in dieser Hinsicht neue Erkenntnisse und Aspekte. So konnten wir mit neu etablierten molekularbiologischen Werkzeugen eine neue genetische Gruppe (Cluster) aufdecken, die C. pseudotuberculosis-Isolate zusammenfasst, die ausschließlich von Kameliden (Alpakas, Lamas, Dromedare und Trampeltiere) stammen. Diese Isolate unterscheiden sich von den bisher beschriebenen Isolaten, die dem Biovar Ovis und dem Biovar Equi zugeordnet werden: sie verhalten sich im Nitrat-Reduktase-Test wie Isolate des Biovars Ovis (Nitrat-Reduktae-Aktivität fehlt), sind genetisch aber dem Biovar Equi ähnlicher. Diese neue genetische Untergruppe erhielt von uns die Bezeichnung „Biovar Ovis Genomovar Camelid“ [6].
Infokasten
Corynebacterium pseudotuberculosis
Nitrat-Reduktase Test: Nachweis von Nitrat-Reduktase-Aktivität (links, Biovar Equi) und fehlende Nitrat-Reduktase-Aktivität (rechts, Biovar Ovis).
C. pseudotuberculosis ist ein Bakterium, das dem sog. Corynebacterium-diphtheriae-Spezies-Komplex zugeordnet wird. Dieser Komplex ist nach dem Erreger der Diphtherie des Menschen, C. diphtheriae benannt und enthält noch weitere bei Mensch und Tier vorkommende pathogene Corynebakterien (C. belfanti, C. ulcerans, C. rouxii, C. silvaticum, C. ramonii). Eine eindeutige Identifizierung der Corynebacterium-Spezies ist mit Hilfe der MALDI-TOF-Massenspektrometrie (Matrix-Assisted Laser Desorption/Ionization Time-of-Flight) möglich [3]. C. pseudotuberculosis infiziert vor allem Pflanzenfresser, insbesondere Schafe, Ziege und Kameliden. Infektionen sind über direkten Kontakt mit erregerausscheidenden Tieren, vor allem mit erregerhaltigem Abszessinhalt, oder indirekt über kontaminierte Stalleinrichtungen, Stallwerkzeuge oder andere Gegenstände besonders über Wunden möglich. Infektionen führen zu Abszessen in Lymphknoten und inneren Organen. Auch Menschen können sich über Wunden durch Kontakt mit dem Erreger infizieren.
Eine Unterteilung von C. pseudotuberculosis in das Biovar Ovis und das Biovar Equi ist biochemisch mit Hilfe des Nachweises der Aktivität des Enzyms Nitrat-Reduktase möglich. Dieses Enzym reduziert Nitrat zu Nitrit. C. pseudotuberculosis-Isolate, die Nitrat-Reduktase-Aktivität aufweisen, werden dem Biovar Equi, Isolate ohne Nitrat-Reduktase-Aktivität dem Biovar Ovis zugeordnet.
Für die Reduzierung von Nitrat zu Nitrit ist eine intakte Nitrat-Reduktase Voraussetzung. Bei C. pseudotuberculosis-Isolaten von Kameliden führen jedoch Gendefekte im Nitrat-Locus (Deletion, Insertion) zur Bildung einer funktionslosen Nitrat-Reduktase.
Im Folgenden werden die wichtigsten Ergebnisse unserer Studie dargestellt:
Für die genomweite Analyse und den Vergleich der verschiedenen Isolate wurde ein cgMLST-Schema etabliert (cgMLST = core genome multilocus sequence typing). Dieses Schema beinhaltet bei C. pseudotuberculoisis ein Set aus 1.577 sogenannter core Genom-Targets (Kerngenomsequenzen/Gene), also den Genen, die bei mehr als 97 % aller untersuchten Isolate vorkommen. Ermittelt wurden diese Gene durch den Vergleich von insgesamt 187 C. pseudotuberculosis-Genomen. 21 dieser Gesamtgenome wurden am CVUA Stuttgart erstellt (16 C. pseudotuberculosis-Isolate aus unserem Hause, drei Isolate vom LGL in Oberschleißheim und jeweils ein Isolat vom CVUA Karlsruhe und vom Landeslabor Hessen in Gießen), die weiteren 166 wurden aus der Genomdatenbank des NCBI (National Center for Biotechnology Information) bezogen.
Mit Hilfe dieses cgMLST-Schemas konnte im Anschluss eine Kerngenom Multilocus-Sequenz-Typisierung durchgeführt werden. Das Ergebnis, grafisch dargestellt anhand eines Minimum Spanning Tree (MST), zeigt die genetische Ähnlichkeit der analysierten C. pseudotuberculosis-Isolate übersichtlich und anschaulich (siehe Abbildung 2). Die Isolate des Biovar Equi, gekennzeichnet durch eine positive Reaktion im biochemischen Nitrat-Reduktase Test, werden üblicherweise in Pferden und Wasserbüffeln vorgefunden. Negativ im Nitrat-Reduktase Test reagieren hingegen die C. pseudotuberculois-Isolate des Biovar Ovis, die überwiegend von Schafen und Ziegen stammen. Die Isolate dieser beiden Biovare trennen sich im MST aufgrund der großen genetischen Unterschiede, die auch zum unterschiedlichen Ergebnis im Nitrat-Reduktase Test führen, deutlich voneinander ab. Im Gegensatz zum Biovar Equi fehlen dem Biovar Ovis intakte Gene, die für die Reduktion des Nitrates notwendig sind, daher das negative Testergebnis. Beim Biovar Equi führen diese Gene zu einem positiven Nitrat-Reduktase Testergebnis.
Im MST wird darüber hinaus allerdings noch eine weitere Gruppe sichtbar, deren Isolate sich aufgrund vielfältiger genetischer Unterschiede von diesen beiden Biovaren abgrenzen. Isolate dieser Gruppe wurden bisher ausschließlich bei der Untersuchung von Kameliden gewonnen und aufgrund der fehlenden Nitrat-Reduktase-Aktivität und deren genetischer Abgrenzung dem neuen Genomovar Camelid (Biovar Ovis Genomovar Camelid) zugeordnet. Diese Isolate werden aufgrund des negativen Ergebnisses des Nitrat-Reduktase Tests als Biovar Ovis klassifiziert. Die Untersuchung des Genoms zeigt allerdings, dass die für die Reduktion des Nitrates notwendigen Gene zwar vorhanden sind, jedoch deren Funktion durch genetische Defekte unterbunden wird.
Die Ergebnisse zu dieser bisher unbekannten Gruppe sind im Detail in einer Fachpublikation zusammengefasst [6]. Darin wird auch eine routinetaugliche genetische Untersuchung vorgeschlagen, um Isolate durch die Sequenzanalyse eines einzelnen Gens der jeweiligen der drei Gruppen zuordnen zu können.
Abbildung 2: Darstellung der genetischen Ähnlichkeit von Corynebacterium pseudotuberculosis-Isolaten in einem Minimum Spanning Tree (MST) basierend auf der einer Kerngenom-Multilocus-Sequenz-Typisierung (cgMLST = core genome multilocus sequence typing).
Die Ziffern an den Verbindungslinien sind ein Maß für die genetischen Unterschiede von C. pseudotuberculosis-Isolaten (je höher die Ziffern, desto geringer die genetische Ähnlichkeit). Die Isolate von Menschen gehören dem Biovar Ovis an und stammen aus Neuseeland, Frankreich und Norwegen. (CVUA Stuttgart).
Schlussfolgerungen
- Wir konnten für den Erreger der Pseudotuberkulose C. pseudotuberculosis ein neues Genomovar Camelid zusätzlich zu den bisher bekannten Biovaren Equi und Ovis mit Hilfe unserer Gesamtgenomanalysen definieren.
- Dieses neue Genomovar Camelid konnten wir ausschließlich bei Isolaten von Kameliden nachweisen, was eine Zirkulation dieses Genomovars in dieser Tiergruppe bedeutet.
- Die Kontrolle/ Sanierung von C. pseudotuberculosis-Infektionen bei Kameliden sollte unbedingt unabhängig von anderen Tierarten in Angriff genommen werden. Dies verhindert eine weitere Ausbreitung und ist ein wichtiger Beitrag zur Tiergesundheit und zum Tierschutz.
- Wichtig ist, nur Tiere aus Herden mit bekanntem Infektionsstaus sowie nur nach ausreichender Quarantäne in eine Herde aufzunehmen. Der Kontakt zwischen nicht getesteten Tieren unterschiedlicher Herkunft muss vermieden werden.
- Eine strikt getrennte Haltung unterschiedlicher Tierarten ermöglicht die separate Kontrolle/ Sanierung von C. pseudotuberculosis-Infektionen bei jeweils Alpakas, Schafen/ Ziegen und Pferden.
- Eine Bekämpfung der Pseudotuberkulose ist durch regelmäßige Untersuchungen der Tiere gemäß dem Bekämpfungsprogramm bei Ziegen möglich [1, 2].
- Molekularbiologische Charakterisierungen von C. pseudotuberculosis-Isolaten für die molekulare epidemiologische Überwachung sollten durchgeführt werden. Diese Untersuchungen führen wir in unserem Konsiliarlabor für Corynebacterium pseudotuberculosis durch.
Bildernachweis
Dr. Wolfram Rietschel, CVUA Stuttgart
Quellen
[2] Ziegenzuchtverband Baden-Württemberg. Ziegengesundheit – Pseudotuberkulose.
[4] Sting, R., L. Schneider-Bühl, H. Wagner, J. Maget, B. Polley, D. Bürstel, H. Axt (2017): Clinical and serological investigations on caseous lymphadenitis in goat breeding herds in Baden-Wuerttemberg. Berliner und Münchener Tierärztliche Wochenschrift 130, 136–143.