Enzootische Kalzinose bei Pferden verursacht durch Goldhafer kommt auch auf der schwäbischen Alb vor

Ein Bericht aus unserem Laboralltag

Bei der Kalzinose handelt sich um eine chronisch verlaufende Verkalkung elastischer Fasern der großen Arterien und der Sehnen. Da es sich um eine fütterungsbedingte vegetationsabhängige Erkrankung handelt, kommen Erkrankungsfälle regional oder bestandsweise gehäuft vor (enzootische Kalzinose). Die Kalzinose betrifft Pflanzenfresser wie Schafe, Ziegen, Rinder, Alpakas und Pferde.

Wir berichten hier über den Erkrankungsfall eines Pferdes von der schwäbischen Alb, das seit einem Jahr an Bewegungsstörungen der Hinterhand mit zunehmendem Muskelschwund gelitten hat. In der Vergangenheit waren schon mehrere Pferde aus dem selben Stall mit ähnlicher Symptomatik aufgefallen und wurden wegen therapieresistenter Lahmheit euthanasiert.

 

Beschreibung des Krankheitsbildes, der Haltungs- und Fütterungsbedingungen

Bei dem betroffenen Pferd handelt es sich um eine 13-jährige Württemberger Stute. Seit etwa 1 Jahr fiel die Stute durch einen zunehmend steifen Gang auf. Eine eindeutige Lahmheit konnte jedoch zu keiner Zeit nachgewiesen werden. Weiterhin konnten vermehrtes Liegen und krampfartige Zustände vor allem der Hintergliedmaßen nach dem Aufstehen beobachtet werden. Das Aufnehmen der Hintergliedmaßen war nur schwer möglich. Die Stute zeigte dabei Gleichgewichtsprobleme und setzte die Gliedmaße danach nur schlecht ab. Weiterhin fielen eine aufgezogene Bauchdecke und ein aufgewölbter Rücken auf. Freiwillig bewegte sich das Tier nur im Schritt. Im Trab zeigte sie einen trippelnden Gang, wobei sie sich nach gewisser Zeit etwas einlief.Vor Beginn der ersten Symptome wurde das Pferd regelmäßig ca. 4x pro Woche für 1 bis 2 Stunden gearbeitet. Seit 1 Jahr wurde es kaum mehr geritten.
Trotz guter Futteraufnahme magerte die Stute zunehmend ab. Sie wurde in Boxenhaltung mit ausgiebigem Weidegang gehalten, erhielt Heulage zur freien Verfügung, einmal täglich Kraftfutter und Leitungswasser. Sie wurde 2x pro Jahr entwurmt. Labordiagnostisch konnte bereits zu Beginn der Erkrankung eine Anämie mit verminderter Erythrozytenzahl, vermindertem Hämoglobin-Gehalt und vermindertem Hämatokrit nachgewiesen werden. Kreatinin und anorganisches Phosphat waren erhöht und die Stute zeigte eine Hyperglykämie. Weiterhin fielen eine Lymphozytose und Monozytämie auf.

Die weitere allgemeine klinische Untersuchung der Stute ergab außer einem verminderten Hautturgor und einer mittelgradigen Muskelatrophie der Hintergliedmaßen keine besonderen Befunde. Die serologische Untersuchung des Blutes auf Antikörper gegen Borna, Borreliose, Listeriose oder infektiöse Anämie der Einhufer verlief negativ. Der aufgrund eines positiven EHV-1- und EHV-4-Titers durchgeführte EHV-Virusnachweis aus Leukozyten mittels PCR erbrachte ebenfalls ein negatives Ergebnis. Gegen Tetanus war die Stute geimpft.
In der Vergangenheit zeigten im gleichen Bestand bereits mehrere Pferde eine ähnliche Symptomatik und wurden teilweise aufgrund therapieresistenter Lahmheit euthanasiert. Bei einem Pferd konnten zu Lebzeiten Verkalkungen im Fesselträger nachgewiesen werden. Ein anderes wurde aufgrund einer Niereninsuffizienz euthanasiert. Bei den betroffenen Pferden handelte es sich ausschließlich um ältere Pferde (16 bis 25 Jahre), welche bereits längere Zeit im Bestand lebten.
Aufgrund des schlechten Allgemeinzustandes der Stute, fehlender Besserung des Allgemeinbefindens und nicht zuletzt wegen der bestehenden Bestandsproblematik erfolgte die Tötung und Sektion des Pferdes.

 

Beschreibung der Organveränderungen

Bei der Sektion fielen krankhafte Veränderungen am Herz, den großen Gefäßen, den Beugesehnen, der Leber und der Nieren auf.


Herz:

Durch das transparente und glatte Epikard zeichnete sich das Myokard in Muskelbündeln höckrig ab (Hypertrophie des Myokards). Das Endokard des rechten Vorhofs war straßenförmig milchig getrübt und die Arteria pulmonalis, die Mitralklappen sowie die Aorta zeigten eine schuppenartige subendotheliale weißliche Verdickung bei glatt-glänzendem Endothel (Bild 1 und 2). Histologisch wies das Endokard disseminierte Verkalkungsherde auf sowie eine massive Einsprossung von Kapillaren.


Nieren:

Bei beiden Nieren waren die Kapseln nur unter Substanzverlust abziehbar. Das Nierengewebe stellte sich beige-braun mit deutlicher Radiärsteifung der Rinde dar. Das Nierenbecken wies zahlreiche hirsekorngroße weißlich-gelbe Herdchen auf. Bei der histologischen Untersuchung konnten in den distalen Tubuli basophile Konkremente nachgewiesen werden sowie eine interstitielle Entzündung.

 

Leber:

Das Lebergewebe war gelblich-braun, zeigte eine deutliche Läppchenzeichnung und war von derber Konsistenz. Die Leberkapsel war glatt glänzend, jedoch vereinzelt herdförmig fibrotisch weiß verdickt. Histologisch zeigten die Leberzellen deutliche degenerative Veränderungen mit vakuolärer Degeneration und einen zellulären sowie kanalikulären Ikterus.


Beugesehnen:

Die Sehnen knirschten beim Anschnitt und zeigten disseminiert kalkweiße nadelspitzenförmige Einlagerungen (Bild 3), die sich auch sehr gut im Röntgenbild darstellen ließen (Bild 4).


Alle übrigen Organe, insbesondere der Magen, die Lunge und die Schilddrüse zeigten keine krankhaften Veränderungen.


Zusammenfassend wurde eine Mineralisation des Endokards, der Gefäße und Sehnen sowie eine sekundäre Herzmuskelhypertrophie, Nephritis und Leberdegeneration festgestellt. An Hand des klinischen Krankheitsbildes und der morphologischen Befunde und wurde die Diagnose Enzootische Kalzinose gestellt.

 

Bild 1 und 2.

Bild1 links: Herz, das Endokard ist mil-chig getrübt und aufgeraut

Bild 2 rechts: Aorta, die innere Oberfläche ist aufgeraut

 

Bild 3 und 4.

Bild 3 links: Beugesehne mit weißlichen Kalkeinlagerungen

Bild 4 rechts: Röntgenaufnahmen der Beugesehne mit Kalkeinlagerungen

 

Ursache der enzootischen Kalzinose

Bei der enzootischen Kalzinose der Pflanzenfresser handelt es sich um eine chronisch verlaufende, mit Bewegungsstörung und Abmagerung einhergehende Erkrankung, die durch massive Kalksalzeinlagerungen in die elastischen Fasern der Weichgewebe, insbesondere des kardiovaskulären Systems und der Sehnen charakterisiert ist. Hieraus resultieren auch die Bewegungsstörungen in Folge Minderdurchblutung und Sehnenverkalkung.


Die häufigste Ursache der beschriebenen Gewebsveränderungen sind Vitamin D3-ähnlich wirkende Substanzen im Futter. Verschiedene Pflanzen können derartige Stoffe enthalten. In unseren Breiten spielt der Goldhafer (Trisetum flavescens) die größte Rolle. Bereits 10 % Goldhafer in der Ration kann bei empfänglichen Rindern eine Kalzinose auslösen. Für das Pferd sind uns keine Angaben bekannt.

Goldhafer

GoldhaferGoldhafer ist ein Süßgras, das eine Höhe von bis zu 1 m erreicht.

Die Blätter sind weich behaart und etwa 4 mm breit.

2- 3 Blüten wachsen jeweils in 6 mm langen gelben Ährchen. Die locker ausgebreitete Blütenrispe ähnelt der des Hafers.

 

Blütezeit ist Mai bis Juni.

 

Goldhafer ist das vorherrschende Gras der kühlen, rauen und niederschlagsreichen Lagen (sog. Berg-Mähwiesen).

Er bevorzugt mäßig trockene bis feuchte, nährstoffreiche und kalkhaltige Böden, wie sie auf der schwäbischen Alb und im Schwarzwald zu finden sind.

 Die kalzinogene Aktivität des Goldhafers beruht auf 1,25 Dihydroxycholecalciferol (Vitamin D3).
Der Vitamin D3-Gehalt im Goldhafer ist vor der Blüte höher als danach. Daher sollen mit Goldhafer besetzte Wiesen spät gemäht und zur Heugewinnung genutzt werden. Durch Trocknung oder Silierung geht jedoch die kalzinogene Aktivität nicht verloren. Auch die Düngung hat keinen direkten Einfluss auf den Gehalt an Vit D3. Eine Kalzinose kann sich sowohl mit als auch ohne Sonnenlichtexposition der Tiere entwickeln.


Goldhafer kann durch häufiges Mähen der Wiesen zurückgedrängt werden. Goldhafer belastetes Heu sollte mit goldhaferfreiem Heu verschnitten werden, um  seinen Anteil unter 10% zu senken. Jegliche zusätzliche Verabreichung von Vit D 3 an die Tiere, z.B. über vitaminisierte Mineralfutter, muss vermieden werden.
Problematisch kann der Zukauf von Heu werden, wenn die Herkunftswiese und somit die Zusammensetzung des Heus, nicht bekannt ist. Am fertigen Heu ist der Goldhaferanteil auch für einen Landwirt nicht mehr erkennbar. Klarheit kann nur noch eine Futtermittelanalyse verschaffen. Futterverweigerung als Hinweis auf eine Unverträglichkeit des angebotenen Futters sollte ernst genommen werden.

 

Literatur

  • E. Dahme, E. Weiss (2007): Grundriss der speziellen pathologischen Anatomie der Haustiere, Enke Verlag in MVS Medizinverlage Stuttgart
  • Gerrit Dirksen, Hans-Dieter Gründer, Mattheus Stöber (2006): Innere Medizin und Chirurgie des Rindes, Parey Verlag in MVS Medizinverlage Stuttgart
  • K. Dedié, H. Bostedt (1985): Schafkrankheiten, Verlag Eugen Ulmer Stuttgart
  • G. Habermehl; P. Ziemer (2009): Giftpflanzen und Intoxikationen in der tierärztlichen Praxis; Verlag M.u.H. Schaper Hannover
  • Jubb, Kennedy, Palmer’s (2007): Pathology of Domestic Animals, Vol 1, Elsevier Saunders

 

Bildernachweis

CVUA Stuttgart

Trisetum.flavescens.-.lindsey.jpg, James K. Lindsey, Wikimedia commons.

 

Autoren

Dr. Christine Süß-Dombrowski (Fachtierärztin für Pathologie), Chemisches und Veterinäruntersuchungsamt Stuttgart Dr. Thomas Buyle (Fachtierarzt für Pferde) und Dr. Maike Stadler aus der Pferdepraxis Dr. Buyle, Kernen-Stetten

 

Artikel erstmals erschienen am 10.03.2011