Der Schinken unterm Mikroskop - Original oder Fälschung?
Ein Bericht aus unserem Laboralltag
Dr. Otto-Kuhn, Dr. Stürmer
Einleitung
Schinken ist namens- und wertbestimmender Bestandteil beliebter Speisen in der Gastronomie und auch bei Dienstleistungsunternehmen wie Party- und Pizzaservice. Verbirgt sich unter der Bezeichnung „Schinken“ auf der Pizza oder im Nudelauflauf aber auch wirklich diese hochwertige Kochpökelware oder stattdessen ein billigeres Ersatzprodukt? Anhand der kleingeschnittenen Teile unter dem geschmolzenen Käse kann der Gast nicht erkennen, ob es sich tatsächlich um Schinken handelt und mit Hilfe der Speisekarte erhält die Verbraucherin oft selbst bei genauem Studium der Fußnoten keine ausreichende Information ob ein Imitat oder ein Schinken verarbeitet wurde. Ob die „Schinkenpizza“ oder der „Nudelschinkenauflauf“ wirklich Schinken enthalten, kann in den meisten Fällen nur durch eine mikroskopisch-histologische Untersuchung festgestellt werden.
Allgemeine Verkehrsauffassung bei Kochpökelwaren
Was „Schinken“ ist, legen die Leitsätze für Fleisch und Fleischerzeugnisse im Deutschen Lebensmittelbuch fest. Die Leitsätze beschreiben die „allgemeine Verkehrsauffassung“. Nach Ziffer 2.341 der Leitsätze für Fleisch und Fleischerzeugnisse wird die Bezeichnung Schinken auch in Wortverbindungen nur für Kochpökelwaren von gehobener Qualität verwendet. Bei Bezeichnungen ohne Hinweis auf einen Körperteil handelt es sich um Teile der Hinterextremität (Hinterschinken, Schlegel, Keule). Schinken aus der Vorderextremität wird als Vorderschinken bezeichnet.
Kochpökelwaren sind nach Ziffer 2.30 umgerötete und gegarte, meist geräucherte Fleischerzeugnisse, denen kein Brät zugesetzt ist. Bei Bezeichnungen ohne Hinweis auf die Tierart handelt es sich nach Ziffer 2.31 um Teile von Schweinen.
Die Leitsätze für Fleisch und Fleischerzeugnisse im Deutschen Lebensmittelbuch beschreiben auch die „allgemeine Verkehrsauffassung“ für Formfleischerzeugnisse. Nach Ziffer 2.19 werden für Formfleischerzeugnisse Fleischstücken durch Tumbeln (auch als Poltern bezeichnet) mechanisch so vorbehandelt, dass sie zu größeren Stücken zusammengefügt werden können, die durch das Kochen ihre neue, fest gefügte Form erhalten. Der bei der Herstellung auftretende Muskelabrieb (brätähnliche Substanz) darf 5 Vol.-% nicht übersteigen, Brät wird nicht verwendet. Um Verwechselungen von Formfleischerzeugnisse mit Erzeugnissen aus gewachsenem Fleisch (Schinken) zu vermeiden, müssen sie korrekt gekennzeichnet werden: Formfleisch-Schinken, aus Schinkenstücken zusammengefügt.
Verschiedene Erzeugnisse werden als billigerer Ersatz für hochwertigen Schinken und vergleichsweise hochwertigen Formfleisch-Schinken verwendet. Dabei handelt es sich meist um brühwurstartig feinzerkleinerte Masse mit bis etwa bohnengroßen Einlagen von Magerfleisch, Speck und Bindegewebe. Ihr Fleischanteil liegt bei nur 50 - 70%, und das zugesetzte Wasser (bis zu 40%) wird durch Zutaten wie Sojaeiweiß, Pflanzenstärke, Gelatine, Cellulose etc. gebunden.
Wird die Pizza als „Schinkenpizza“ oder „Pizza mit Schinken“ bezeichnet, darf auch nur Hinterschinken darauf liegen. Wurde zur Herstellung Formfleisch-Schinken verwendet, muss sie „Pizza mit Formfleisch-Schinken“ heißen. Wurde gar ein brühwurstähnliches Imitat verwendet, muss dies zutreffend erläutert werden: „Pizza mit Pizzabelag nach Art einer groben Brühwurst aus Schweinefleisch“. Gleiches gilt auch für Nudelgerichte, Salate etc.!
Untersuchungen des CVUA Stuttgart
In den Jahren 2011 bis 2012 wurden 72 Proben von Kochpökelwaren, die in der Gastronomie, bei Dienstleistungsbetrieben und aus dem Einzelhandel entnommen worden waren, sensorisch, lebensmittelchemisch und histologisch untersucht und beurteilt.
Mittels histologischer Untersuchung können Schinken von Formfleisch- und brühwurstähnliche Erzeugnisse unterschieden werden, auch wenn sie in der verzehrsfertigen Speise bereits kleingeschnitten und überbacken waren. Bei der Histologie werden dünne, gefärbte Schnitte der Probe unter dem Mikroskop betrachtet (Abb. 1). Die verschiedenen Gewebestrukturen, vor allem Muskulatur, Bindegewebe und brätähnliche Substanz werden anhand ihrer charakteristischen Struktur und Anfärbbarkeit identifiziert und quantitativ ausgewertet.
Abb. 1: Histologie: Gefriermikrotom, histologische Schnitte, Mikroskop.
Die Fotographien (Abb. 3 a-e) zeigen die Gewebsstrukturen histologischer Präparate verschiedener Kochpökelwaren, wie sie sich unter dem Mikroskop bei 40facher Vergrößerung präsentieren.
Ergebnisse
44 Proben von Kochpökelwaren (61%) waren unter einer irreführenden und zur Täuschung geeigneten Bezeichnung in den Verkehr gebracht worden, 4 weitere Proben wichen in ihrer Beschaffenheit ab, dies war aber nicht kenntlich gemacht. In den meisten Fällen wurden Kochpökelwaren als „Schinken“ bezeichnet, obwohl sie der Verkehrsauffassung für Schinken gar nicht entsprachen.
Zwei Drittel (66,6%) der untersuchten Kochpökelwaren verstießen somit gegen die Vorschriften des § 11 LFGB zum Schutz vor Täuschung!
2 Proben wiesen andere Kennzeichnungsmängel auf, bei 2 weiteren Proben konnte die Konformität nur mittels Kontrolle im Herstellerbetrieb festgestellt werden. Die Ergebnisse der histologischen Untersuchungen sind im Schaubild (Abb. 2) zusammengefasst.
Abb. 2: Beurteilung von Kochpökelwaren.
Fazit
Ein sehr hoher Anteil (66,6%) der untersuchten Kochpökelwaren verstießen gegen die Vorschriften des § 11 LFGB zum Schutz vor Täuschung!
Was können Verbraucher tun?
Besuchen Sie den Gastronom Ihres Vertrauens, lesen Sie aufmerksam die Kennzeichnung bzw. die Speisekarte und fragen Sie freundlich aber kritisch nach.
Was können Gastwirte und Lebensmittelhändler tun?
Lesen Sie aufmerksam die Warenbeschreibung bzw. Kennzeichnung der von Ihnen verwendeten Ware, fragen Sie kritisch bei Ihrem Lieferanten nach. Informationen über korrekte Kennzeichnung bietet das Merkblatt „Kennzeichnung von Schinken, Formfleischerzeugnissen und Imitaten auf der Speisekarte oder am Schild an der Ware“ der Chemischen und Veterinäruntersuchungsämter
(https://www.ua-bw.de/pub/beitrag.asp?ID=721&subid=0&Thema_ID=2&Pdf=Yes).
Abb. 3a:
Echter Schinken: Muskulatur der Hintergliedmaße, Skelettmuskulatur quergeschnitten.
Abb. 3b:
Formfleischschinken: Muskelstücke zusammengesetzt.
Abb. 3c:
Imitat: Stark erhöhter Brätanteil, Muskelfasern in Auflösung.
Abb. 3d:
Imitat: Überwiegend Brät, vereinzelt Muskelfasern.
Abb. 3e:
Imitat: Brät mit Stärkekörnchen.
Literatur:
[1] LFGB: Lebensmittel-, Bedarfsgegenstände- und Futtermittelgesetzbuch (Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuch) in der Fassung der Bekanntmachung vom 22. August 2011 (BGBl. I S. 1770), zuletzt geändert durch die Verordnung vom 3. August 2012 (BGBl. I S. 1708)
[2] Leitsätze für Fleisch und Fleischerzeugnisse des Deutschen Lebensmittelbuchs vom 27./28.11.1974 (Beilage zum BAnz. Nr. 134 vom 25.07.1975, GMBl. Nr. 23 S. 489 vom 25.07.1975), zuletzt geändert am 08.01.2010 (BAnz. Nr. 16 vom 29.01.2010, GMBl Nr. 5/6 S. 120 ff vom 04.02.2010)
[3] Merkblatt „Kennzeichnung von Schinken, Formfleischerzeugnissen und Imitaten auf der Speisekarte oder am Schild an der Ware“ der Chemischen und Veterinäruntersuchungsämter
Bildernachweis:
Dr. Otto-Kuhn, Dr. Stürmer.