Der Bakterien-Zoo wird größer: Bacillus cytotoxicus und Listeria fleischmannii – neu beschriebene Bakterienarten aus Lebensmitteln

Das CVUA Stuttgart wirkt bei der Beschreibung neuer Arten mit

Ein Bericht aus unserem Laboralltag

J. Rau, M. Contzen

 

Die wissenschaftliche Beschreibung von Mikroorganismen, ihre Klassifizierung und die Zusammenstellung ihrer typischen Eigenschaften ist eine wichtige Grundlage der Mikrobiologie.

 

Insbesondere bei der Lebensmitteluntersuchung zur Analyse lebensmittelbedingter Erkrankungsfälle ist vor Allem die Unterscheidung pathogener – also krankmachender – Bakterien von ungefährlichen Arten entscheidend.

 

Die Laboruntersuchung folgt hierbei in der Regel etablierten standardisierten Methoden, wie sie z.B. in den Amtlichen Sammlungen nach §64 des Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuches (LFGB) zusammengestellt sind. Diese Methoden zielen auf Bakterienarten, die dafür bekannt sind lebensmittelbedingte Erkrankungen auszulösen. Hierzu gehören beispielsweise Salmonellen, Staphylococcus aureus, Bacillus cereus oder Listeria monocytogenes. Im Analysenverlauf zeigen sich diese gesuchten Arten durch ein „typisches“ Wachstum auf selektiven Nährmedien und durch eine Reihe sogenannten phänotypischen Eigenschaften, wie z.B. der Möglichkeit bestimmte Stoffe zu verwerten. Mikroorgansimen-Kolonien, die nicht dem typischen Bild entsprechen, werden in der Regel nicht weiter verfolgt - wenn doch können sich Überraschungen ergeben:

 

In 2007 sind am CVUA Stuttgart bei Untersuchungen von Kartoffelpüree aus einer Erkrankungsprobe Bacillus cereus verdächtige Kolonien in geringer Zahl isoliert worden, die auf den Standardnährböden bei 30°C Bebrütung untypisch klein blieben.
Diese auffälligen Bakterien wurden mittels Infrarotspektroskopie - einer am CVUA Stuttgart seit 2003 etablierten Technik [1] – mit anderen verwandten Bacilli verglichen. Hierbei zeigten sich die Kartoffelpüree-Isolate zwar in der Nähe der anderen Bacillus-Arten, waren aber als eigene Gruppe getrennt von diesen zu erkennen [2]. Das fragliche Isolat „CVUAS 2979“ wurde nun für eine intensivere genetische Untersuchung ausgewählt: Der Teilsequenzierung des häufig für Speziesunterscheidungen genutzten 16S rRNA-Gens folgte der suchende Vergleich mit einer frei zugänglichen Datenbank. Als erster Treffer in der Datenbank zeigte sich die erst kurz zuvor von einer französischen Arbeitsgruppe eingestellte Sequenz einer uns bisher unbekannten Art „Bacillus sp. NVH 391-98“. Nach Kontaktaufnahme mit der Arbeitsgruppe konnten auch bei unserem Kartoffelpüree-Isolat alle Eigenschaften des NVH 391-98 nachvollzogen werden. Insbesondere die hohe Thermotoleranz (gutes Wachstum auch bei 52°C) und das vorhandene Gen für Cytotoxin K1 sind aus Sicht des Lebensmittelmikrobiologen besonders problematisch. Da 2009 weltweit erst sehr wenige ähnliche Isolate zur Verfügung standen, wurde mit der französischen Arbeitsgruppe eine Zusammenarbeit vereinbart in der das CVUAS Isolat integriert werden konnte. Die umfangreichen Charakterisierungen der Isolate resultierten in 2013 endlich in der wissenschaftlichen Beschreibung der neuen Art Bacillus cytotoxicus sp. nov., Guinebretiére et al., 2013 [3].

 

Bilder zu Bacillus cytotoxicus.

Bacillus cytotoxicus: Reinkultur auf Blutagar nach Bebrütung für 16 Stunden bei 52°C (oben), Kolonie unter dem Lichtmikroskop (2,5x; unten links) und dem Elektronenmikroskop (unten rechts).

 

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Bacillus cytotoxicus

Bacillus cytotoxicus wird zur Bacillus cereus-Gruppe gezählt, der neben B. cereus unter anderem B. thuringiensis, B. weihenstephanensis und auch B. anthracis zugerechnet werden. Die bisher bekannten Isolate von B. cytotoxicus fallen durch eine ausgeprägte Thermotoleranz (Wachstum auch bei 52°C) auf. Die meisten Isolate sind mit einem Gen für das Cytotoxin K1 ausgestattet. Dieses Zellgift wird mit beschriebenen Erkrankungen in Zusammenhang gebracht. Bisher wurde B. cytotoxicus aus zubereiteten pflanzlichen Pürees (insbes. Kartoffelpüree) isoliert. Die natürliche Nische für diesen Sprorenbildner ist noch unbekannt.

 

Hinterlegter Typstamm NVH 391-98 = DSM 22905 (Leipniz-Institut DSMZ Deutsche Sammlung von Mikroorganismen und Zellkulturen, Braunschweig)

 

Auch bei einem zweiten auffälligen Bakterium, diesmal ein an uns gesandtes Listerien-Isolat aus einem Käse, konnte das CVUA Stuttgart bei einer Stammbeschreibung mitwirken:

 

Wiederum zeigte zuerst die Infrarotspektroskopie die Besonderheit des Isolates im Umfeld anderer Listerien: weder Listeria monocytogenes, die humanpathogene Art unter den Listerien, noch eine der anderen bekannten Arten aus der Gattung zeigte ein vergleichbares IR-Spektrum. Die anschließende molekularbiologische Untersuchung und die Datenbanksuche führte diesmal zu einer Forschergruppe der Universität Zürich, die sich bereits mit drei anderen Isolaten intensiv auseinandersetzte. Das CVUA Stuttgart konnte das Methodenspektrum der Studie durch die Infrarotspektroskopie, die Elektronenmikroskopie und diverse andere Tests ergänzen und so die Speziesbeschreibung von Listeria fleischmannii sp. nov., Bertsch et al. 2013 unterstützen [4].

 

Bilder Listeria fleischmannii.

Listeria fleischmannii: Reinkultur auf Blutagar nach Bebrütung für 24 Stunden bei 30°C (unten), Kolonie unter dem Lichtmikroskop (2,5x; oben links) und dem Elektronenmikroskop (oben rechts). Auffällig ist hier das Fehlen von Geißeln, die Ursache für die Unbeweglichkeit dieser Spezies.

 

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Listeria fleischmannii

Listerien sind nicht-sporenbildende Stäbchenbakterien, wobei für den Menschen in der Regel nur Listeria monocytogenes als Erreger der Listeriose von Bedeutung ist. L. fleischmannii ist ein neu beschriebener Vertreter der Listerien, der aus Schweizer Käse isoliert wurde. Die Art lässt sich durch biochemische und molekularbiologische Methoden von anderen Listerien unterscheiden. Ungewöhnlich ist dabei die fehlende Beweglichkeit von L. fleischmannii. Als Typstamm ist DSM 24998 hinterlegt.

 

Beide neu beschriebenen Bakterien - Bacillus cytotoxicus und Listeria fleischmannii - ergänzen inzwischen unsere Palette in der Differenzierung. Sie wurden in unsere hauseigenen Datenbanken für die Infrarotspektroskopie, wie auch die neu eingeführte MALDI-TOF Massenspektrometrie integriert. Im Verdachtsfall ist hiermit nun eine sehr schnelle Bestätigung fraglicher Befunde möglich

 

Bildernachweis

V. Akimkin, J. Rau, T. Welles, CVUA Stuttgart

 

Quellen

[1]        Mauder N, Rau J (2011)
Infrarotspektroskopie - ein Multi-Tool für die Mikrobiologie - Eine erfolgreiche Technik wird methodisch zur Aufklärung von Infektionsquellen weiter entwickelt.
Bericht erschienen am 04.03.2011 (http://www.cvuas.de/pub/beitrag.asp?subid=1&Thema_ID=2&ID=1400)
[2]        Contzen M; Rau J (2010)
Bacillus cytotoxicus“ als neuartiger pathogener Erreger in Lebensmitteln?
Bericht erschienen am 23.03.2010 (http://www.cvuas.de/pub/beitrag.asp?subid=1&Thema_ID=2&ID=1284)

[3]        Guinebretiére MH, Auger S, Galleron N, Contzen M, De Sarrau B, De Buyser ML, Lamberet G, Fagerlund A, Granum PE, Lereclus D, De Vos P, Nguyen-The C, Sorokin A. (2013)
Bacillus cytotoxicus sp. nov. is a new thermotolerant species of the Bacillus cereus group occasionally associated with food poisoning.
Int. J. Syst. Evol. Microbiol.  63: 31-40
(http://ijs.sgmjournals.org/content/early/2012/02/06/ijs.0.030627-0)

[4]        Bertsch D, Rau J, Eugster MR, Hug MC, Lawson PA, Lacroix C, Meile L. (2013)
Listeria fleischmannii sp. nov., isolated from cheese.
Int. J. Syst. Evol. Microbiol. 63: 526-532
(http://ijs.sgmjournals.org/content/63/Pt_2/526.abstract)

 

Artikel erstmals erschienen am 04.09.2013