Chlorat in Trinkwasser – Ein Update mit neuen Höchstwerten
Ein Bericht aus unserem Laboralltag
Dr. Carmen Breitling-Utzmann
In den vorangegangenen Beiträgen des CVUA Stuttgart zum Thema „Chlorat in Trinkwasser“ wurde immer wieder auf die Notwendigkeit von Grenzwerten für dieses unerwünschte Nebenprodukt der Trinkwasser-Aufbereitung hingewiesen und deren Festlegung gefordert. Im Jahr 2017 hat das Umweltbundesamt auf diese Forderungen reagiert und mit Stand Dezember 2017 Höchstwerte für Chlorat in der „Liste der Aufbereitungsstoffe und Desinfektionsverfahren gemäß § 11 der Trinkwasserverordnung“ veröffentlicht.
Doch wie sind diese neuen Höchstwerte zu beurteilen und werden diese in Trinkwasser aus dem Raum Stuttgart eingehalten?
Warum ist es wichtig, Chlorat-Gehalte in Trinkwasser zu regulieren?
Um eine mikrobiologisch einwandfreie Qualität von Trinkwasser zu erhalten, ist in vielen Fällen eine Aufbereitung mit Desinfektionsmitteln erforderlich. Werden dabei chlorhaltige Substanzen, wie Chlorgas, Chlordioxid oder Chlorbleichlauge verwendet, so kann neben anderen Desinfektionsnebenprodukten auch das Salz der Chlorsäure, Chlorat, entstehen.
Chlorat ist toxikologisch nicht unbedenklich (siehe auch Infokasten). Die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (European Food Safety Authority, EFSA) hat in ihrer Stellungnahme vom 25.06.2015 dargelegt, dass „hinsichtlich des Vorkommens von Chlorat in Lebensmitteln und Trinkwasser Risiken für die öffentliche Gesundheit bestehen“ und dass „Trinkwasser bei allen Altersgruppen hauptsächlich zur chronischen Aufnahme von Chlorat beiträgt.“ [1]
Aufgrund der akuten und chronischen Wirkungen von Chlorat wurden von der EFSA eine für eine kurzfristige Belastung duldbare Menge von 36 µg pro kg Körpergewicht (Akute Referenzdosis, ARfD), sowie eine langfristig tolerierbare täglichen Aufnahmemenge von 3 µg pro kg Körpergewicht festgelegt (tolerably daily intake, TDI).
Diese Einschätzung der EFSA wurde vom Bundesamt für Risikobewertung in seiner Stellungnahme vom 15. Februar 2018 bestätigt. [2]
Anhand der EFSA-Werte hatten wir berechnet, ab welchem Chlorat-Gehalt in Trinkwasser die ARfD und der TDI bei Erwachsenen oder Kleinkindern vollständig ausgeschöpft werden würde: [3]
Erwachsene (60 kg, 2 L/Tag)
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Kleinkinder (10 kg, 1 L/Tag)
|
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---|---|---|
TDI erreicht bei: |
90 µg/L Chlorat
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30 µg/Ll Chlorat
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ARfD erreicht bei: |
1080 µg/L Chlorat
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360 µg/L Chlorat
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Mit Stand Dezember 2017 wurden vom Umweltbundesamt UBA mit der 19. Änderung der Bekanntmachung der Liste der Aufbereitungsstoffe und Desinfektionsverfahren gemäß § 11 der Trinkwasserverordnung Höchstwerte für Chlorat veröffentlicht. [4]
Höchstwert Chlorat | Anwendung |
Eingesetzte Stoffe
|
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---|---|---|---|
70 µg/L | für die dauerhafte Dosierung, bis zu einer Dosierung von 1,2 mg/L Cl2 |
Einsatz von Chlordioxid |
Einsatz von Calcium- und Natriumhypochlorit |
200 µg/L | für die zeitweise Dosierung, wenn die Desinfektion nicht anders gewährleistet werden kann | ||
700 µg/L | für kurzfristige Notfälle, bis zu einer Dosierung von 4,7 mg/L Cl2 |
Für den Einsatz von Chlorgas wurden keine Höchstwerte festgelegt.
Werden diese Höchstwerte in Trinkwasser aus dem Raum Stuttgart eingehalten?
Von 2014 bis 2017 wurden 312 Trinkwasserproben aus dem Regierungsbezirk Stuttgart am CVUA Stuttgart hinsichtlich ihres Chlorat-Gehaltes untersucht. Dabei handelte es sich um Wasser aus überregionalen Fernwasserversorgungen, aus gemeindeeigenen Wasservorkommen, sowie aus Kleinanlagen (Eigenwasserversorgungen).
Diese Ergebnisse wurden nun dahingehend ausgewertet, ob in dem Trinkwasser die neuen Höchstwerte eingehalten worden wären (siehe Abb. 1).
Abb. 1: Chlorat-Gehalte in 312 Trinkwasserproben aus den Jahren 2014 bis 2017; höchster gemessener Werte: 1950 µ/L
Der Vergleich der gemessenen Rückstandsgehalte mit den festgelegten Chlorat-Höchstwerten zeigt ein sehr positives Bild. In den allermeisten Proben (287, das sind 92 %) wird der Chlorat-Höchstwert von 70 µg/L für eine dauerhafte Dosierung von chlorhaltigen Desinfektionsmitteln nicht überschritten.
Lediglich 18 Proben (6 %) lagen im Bereich zwischen 70 µg/L und 200 µg/L, der noch für eine zeitweilige Dosierung zulässig ist. 5 Proben überschritten auch diesen Höchstwert, 2 Proben sogar den im Notfall noch zulässigen Chlorat-Gehalt von 700 µg/L.
Vergleicht man die Rückstandsgehalte jedoch mit den toxikologisch noch akzeptablen Aufnahmemengen, so zeigt sich, dass die Höchstgehalte noch so hoch sind, dass selbst bei Einhaltung dieser Grenzwerte eine Überschreitung des TDI noch wahrscheinlich ist. Mit dem Höchstwert von 70 µg/L Chlorat für eine dauerhafte Anwendung von chlorhaltigen Desinfektionsmitteln wird der berechnete TDI für Kleinkinder bereits deutlich überschritten (siehe Tabelle 3).
Höchstmenge § 11-Liste |
ARfD und TDI
Erwachsene (60 kg) 2 L/Tag |
ARfD und TDI
Kinder (10 kg) 1 L/Tag |
---|---|---|
70 µg/L (dauerhafte Dosierung) |
< ARfD
< TDI |
< ARfD
> TDI |
200 µg/L (zeitweilige Dosierung) |
< ARfD
|
< ARfD
|
700 µg/L (kurzzeitige Notfälle) |
< ARfD
|
> ARfD
|
Auch das BfR äußert sich in seiner Stellungnahme vom 15.02.2018 [2] deutlich, dass „aus Sicht des gesundheitlichen Verbraucherschutzes ein Wert von 70 µg pro L für eine kurze Zeitdauer als akzeptabel angesehen wird. Langfristig sollten die Konzentrationen im Trinkwasser jedoch geringer sein.“
Die Untersuchungen des CVUA Stuttgart zeigen außerdem, dass eine geringere Konzentration in Trinkwasser möglich ist. In der überwiegenden Zahl der Proben (242, das sind 78 %) wurde ein Chlorat-Gehalt kleiner 30 µg/L gemessen. Bis zu diesem Gehalt wird die lebenslang duldbare Aufnahmemenge für Kleinkinder noch nicht überschritten.
Fazit
Der gesundheitlich nicht unbedenkliche Stoff Chlorat entsteht häufig als Desinfektionsnebenprodukt bei der Chlorierung von Trinkwasser.
Inzwischen wurden vom Umweltbundesamt Höchstwerte in der Liste der Aufbereitungsstoffe und Desinfektionsverfahren nach § 11 Trinkwasser-Verordnung veröffentlicht. Diese sind verglichen mit der lebenslang duldbaren Aufnahmemenge (insbesondere für Kleinkinder) nach unserer Auffassung noch zu hoch angesetzt. Die Untersuchungsergebnisse des CVUA Stuttgart von 2014 bis 2017 zeigen, dass auch niedrigere Chlorat-Gehalte in Trinkwasser erreicht werden können. Ein Höchstwert für eine dauerhafte Dosierung von chlorhaltigen Desinfektionsmitteln könnte daher auch schon bei 30 µg/L angesetzt werden.
Um neben dem Gesundheitsschutz auch wirksamen Verbraucherschutz betreiben zu können, sollten die Höchstwerte für Chlorat, analog zu denen für Bromat und Trihalogenmethane, direkt in der Trinkwasser-Verordnung verankert werden. Dies würde eine effektive Überwachung durch die zuständigen Behörden ermöglichen.
Infokasten
Was ist Chlorat?
Für eine mikrobiologisch einwandfreie Qualität von Trinkwasser ist es bei der Trinkwasseraufbereitung oftmals erforderlich, hochreaktive Chemikalien wie z. B. Chlordioxid, Chlorgas oder Chlorbleichlauge einzusetzen. Dabei handelt es sich um starke Oxidationsmittel, die vorhandene Mikroorganismen abtöten und die Wiederverkeimung im Rohrnetz verhindern sollen.
Dabei können jedoch unerwünschte Nebenprodukte entstehen, wie z.B. Chlorit ClO2– oder Chlorat ClO3–.
Chlorat ist toxikologisch nicht unbedenklich. Zwar besitzt es eine sehr geringe akute Toxizität, allerdings wirkt es als direkter Kompetitor zu Jodid bei der Aufnahme in die Schilddrüse. Die Aufnahme von Chlorat kann daher eine reversible Hemmung der Jodidaufnahme in die Schilddrüse und somit möglicherweise Veränderungen des Schilddrüsenhormonspiegels bewirken. [2] Aufgrund dieser Effekte wurde von der European Food Safety Authority EFSA eine maximale als sicher eingestufte tägliche Aufnahmemenge (tolerable daily intake, TDI) von 3 µg Chlorat pro kg Körpergewicht festgelegt. [3] Für eine kurzzeitige Aufnahme von Chlorat wird eine Akute Referenzdosis (ARfD) von 36 µg Chlorat pro kg Körpergewicht toleriert.
Quellen
[1] Scientific Opinion, Risks for public health related to the presence of chlorate in food, EFSA Panel on Contaminants in the Food Chain (CONTAM), European Food Safety Authority (EFSA), Parma, Italy, EFSA Journal 2015;13(6):4135
[3] Internetbeitrag des CVUA Stuttgart vom 30.06.2016 zu Chlorat in Trinkwasser