Lebensmittel mit psychoaktiven Substanzen – getarnte Drogen?
Daniela Schneidereit, Thomas Kapp, Melisa Güneri, Sonja Beyerlein
Das Angebot an Lebensmitteln in Online-Shops ist nahezu grenzenlos. Da ist es nicht verwunderlich, dass hier auch Produkte angeboten werden, die nicht nur fraglich in ihrer Kennzeichnung sind, sondern mitunter auch gesundheitsschädliche Stoffe beinhalten. Zweifelhafte Produkte füllen zudem die immer häufiger aufgestellten Verkaufsautomaten.
Abb. 1: Übersicht einiger Verdachtsproben
Problematische Produkte aus Verkaufsautomaten und Online-Shops
Gummibonbons mit Muscimol, Kratompulver oder Fliegenpilzpulverkapseln: psychoaktive Substanzen in Lebensmitteln sind ein ernstzunehmendes Problem, da sie oft in Produkten enthalten sind, die wie normale Lebensmittel aussehen. Vertrieben werden derartige Produkte überwiegend über Online-Shops und über Verkaufsautomaten. Beide Abgabeformen zählen zum Fernabsatzhandel. Im Jahr 2024 erhielt das CVUA Stuttgart sechs derartige Verdachtsproben zur Untersuchung und Beurteilung. Das CVUA Rhein-Ruhr-Wupper unterstützte bei der Untersuchung auf Muscimol.
Gemeinsamkeiten der Proben
Gemeinsam war diesen Produkten, dass sie allesamt als Non-Food-Produkte gekennzeichnet waren. So waren Symbole und Warnungen wie z. B. „Nicht für den menschlichen Verzehr“, „Nicht zum Konsum empfohlen“, „Duftgummy“, „zur Raumbeduftung“ oder „Sammlerstücke“ vorhanden.
Derartige Schutzbehauptungen nutzen die Inverkehrbringer, um sich den lebensmittelrechtlichen Vorgaben zu entziehen. Jedoch ist hier der bestimmungs- oder erwartungsgemäße Zweck und nicht die subjektive Einstufung durch den Unternehmer für die rechtliche Einordnung derartiger Produkte als Lebensmittel ausschlaggebend. Der entscheidende Faktor ist also die bestimmungs- oder erwartungsgemäße Aufnahme durch den Menschen – unabhängig davon, ob dies beim angebotenen Produkt objektiv erkennbar oder subjektiv deklariert ist. Das heißt, ein Lebensmittel kann nicht nur dann vorliegen, wenn ein Produkt zur Aufnahme durch den Menschen bestimmt ist, sondern auch, wenn die Aufnahme durch den Menschen nach vernünftigem Ermessen erwartet werden kann.
Alle untersuchten Produkte enthielten zusätzlich auf der Verpackung oder bei den Produktangaben im Internet, einschließlich den weiterführenden Blog-Einträgen, klare Hinweise darauf, dass die Produkte zum Verzehr vorgesehen sind. Teilweise waren auch typische Kennzeichnungselemente von Lebensmitteln wie z. B. Zutatenverzeichnis, Dosieranleitungen und Verzehrsmengen vorhanden.
Bei den vorliegenden Süßwaren stellen vor allem die Verfügbarkeit in Verkaufsautomaten ohne Altersbeschränkung und deren Aufmachung ein besonderes Risiko für schutzbedürftige Kinder und Jugendliche dar. Problematisch ist dabei zudem, dass bei dieser Verkaufsform ausschließlich die meist mangelhafte oder fremdsprachige Kennzeichnung als Informationsquelle vorliegt.
Der Verwendungszweck aller von uns untersuchten Produkte war daher klar der Konsum als Lebensmittel. In fünf der sechs Proben waren psychoaktive Inhaltsstoffe nachweisbar, aufgrund der dadurch zu erwartenden physiologischen Effekte wurden sie als gesundheitsschädliche Lebensmittel beurteilt. Eine der Proben wurde wegen eines deklarierten und nachgewiesenen semisynthetischen Cannabinoids als neuartiges Lebensmittel eingestuft und war damit ebenfalls nicht verkehrsfähig.
Gummibonbons mit Muscimol oder 10HC
Muscimol ist eines der Hauptalkaloide des Roten Fliegenpilzes (Amanita muscaria) und des Pantherpilzes (Amanita pantherina) und seit 2024 regelmäßig Inhalt diverser Meldungen im Europäischen Schnellwarnsystem für Lebensmittel und Futtermittel (RASFF)
. Sowohl in Deutschland als auch in anderen europäischen Ländern wird zunehmend über Vergiftungserscheinungen und Krankenhauseinweisungen in Zusammenhang mit Muscimol-Gummibonbons berichtet . Muscimol verursacht Rauschzustände, Unruhe und Halluzinationen. Zudem sind Kopfschmerzen, Übelkeit und Herz-Kreislauf-Probleme beschrieben .
Aktuell sind im bundesweiten Portal Lebensmittelwarnung.de Rückrufe zu insgesamt sieben muscimolhaltigen Lebensmitteln veröffentlicht
.
Abb. 2: Screenshot Portal Lebensmittelwarnung.de – Suchbegriff: „muscimol“
Die uns vorgelegten Produkte erscheinen als harmlose Süßwaren: stark aromatisiert, optisch bunt und farblich ansprechend gestaltet. Dies birgt besonders für Kinder und Jugendliche eine große Gefahr.
Alle drei von uns untersuchten Produkte wurden auffällig mit der Abbildung eines (Fliegen-)Pilzes beworben, ebenfalls bunt und scheinbar harmlos. Auch der Hinweis auf Muscimol war auf den Produkten vorhanden. Bei zwei der Proben war ein Zutatenverzeichnis vorhanden, in dem Muscimol bzw. Amanita muscaria aufgeführt war. Jedoch konnte in nur einer untersuchten Probe tatsächlich Muscimol nachgewiesen werden. Überraschenderweise enthielten indes alle drei Fruchtgummiproben nicht deklarierte Bestandteile, die ihrerseits eine psychoaktive Wirkung der Produkte erwarten lassen. So wurden in zwei Proben teilweise hochwirksame semisynthetische Cannabinoide wie Δ9-Tetrahydrocannabiphorol (Δ9-THCP) nachgewiesen, die dritte Probe enthielt Indolalkaloide, die für Kratom charakteristisch sind (siehe Abschnitt „Kratompulver“). Δ9-THCP stellt hierbei einen neuen psychoaktiven Stoff im Sinne des Neue-psychoaktive-Stoffe-Gesetzes (NpSG) dar, Handel und Inverkehrbringen sind damit verboten – im Volksmund werden derartige Stoffe häufig auch als Designerdrogen bezeichnet. Wenngleich alle Produkte eine einschlägig psychedelische Aufmachung besaßen, so war doch für kein einziges Produkt ersichtlich, dass auch illegale Designerdrogen enthalten sein könnten.
Eine weitere Fruchtgummiprobe wurde mit dem Inhaltsstoff „10HC“ ausgelobt, was unsere Laboruntersuchungen bestätigen konnten. Bei 10HC handelt es sich um ein neuartiges semisynthetisches Cannabinoid – eine hydroxylierte Form von Hexahydrocannabinol (10-OH-HHC). Der Stoff wird derzeit nicht durch das NpSG erfasst. 10HC besitzt aufgrund seiner Struktur mit hoher Wahrscheinlichkeit ein psychoaktives Potential. Hierauf deuten erste Erkenntnisse aus Tierversuchen sowie Erfahrungsberichte aus einschlägigen Kreisen hin
. Die Probe wurde aufgrund des Zusatzes an 10HC als neuartiges Lebensmittel eingestuft und als nicht verkehrsfähig beurteilt.
Infokasten
Synthetische und semisynthetische Cannabinoide
Neben natürlich in Cannabis vorkommenden Cannabinoiden wie Δ9-trans-Tetrahydrocannabinol (THC) oder Cannabidiol (CBD) findet zunehmend eine Vielzahl synthetischer und semisynthetischer Cannabinoide ihren Weg auf den Markt
. Synthetische Cannabinoide sind künstlich hergestellte Substanzen, die ähnlich wirken wie pflanzliches Cannabis. Bei semisynthetischen Cannabinoiden ist die Molekülstruktur natürlicher Cannabinoide durch chemische Verfahren gezielt verändert worden. Voraussetzung für die psychoaktive Wirkung ist das Bindungsvermögen der Stoffe an körpereigene Cannabinoid-Rezeptoren.
Die tatsächliche psychoaktive Wirkstärke vieler synthetischer und semisynthetischer Cannabinoide ist bislang nicht ausreichend in pharmakologischen Studien untersucht worden. Ebenso ist die Datenlage in Bezug auf unerwünschte Nebenwirkungen oder ggf. schädliche Langzeiteffekte dünn bis nicht vorhanden. Zudem bestehen bei Lebensmitteln mit (semi-)synthetischen Cannabinoiden große Unsicherheiten bezüglich der enthaltenen Stoffkonzentrationen oder hinsichtlich Kontaminationen wie Synthesenebenprodukten. Der Verzehr derartiger Produkte birgt damit unvorhersehbare Risiken und die Gefahr einer unbeabsichtigten Überdosierung.
Kratompulver
Bei Kratom handelt es sich um ein pflanzliches Produkt, das aus den Blättern des in Südostasien beheimateten Kratombaums (Mitragyna speciosa) gewonnen wird. Dort ist es als traditionelles Heilmittel bekannt, insbesondere als Alternative zu Schmerzmitteln und Opioiden
. In der EU werden kratomhaltige Präparate häufig als Nahrungsergänzungsmittel vermarktet, die jedoch wegen ihres hohen Gesundheitsrisikos als kritisch eingestuft werden . Die Blätter von Mitragyna speciosa enthalten neben dem Hauptalkaloid Mitragynin zahlreiche weitere Indol- und Oxindol-Alkaloide. Diese wirken zugleich einerseits ähnlich wie Cocain stimulierend und andererseits wie Opium dämpfend auf das Zentralnervensystem . Besonders gefährlich ist, dass Kratomkonsum aufgrund des Wirkmechanismus im Körper zu einer körperlichen Abhängigkeit führen kann . Die Nebenwirkungen reichen von Übelkeit und Erbrechen über Krampfanfälle bis hin zu Atemdepression, die zum Tod führen kann. .
Die untersuchte Probe stellte reines Kratomblattpulver dar, Fremdstoffe konnten nicht nachgewiesen werden. Der Vertrieb des Produktes erfolgte ausschließlich über das Internet. Hier wurden die verschiedenen Dosierungen für Kratompulver, sowie die damit eintretenden „Wirkungen“ ausführlich beschrieben. Eine Kennzeichnung auf dem Produkt selbst war nicht vorhanden. Das vorgelegte Produkt wurde als nicht sicheres Lebensmittel beurteilt.
Fliegenpilzkapseln
Eine weitere kuriose Probe war ein Nahrungsergänzungsmittel mit Fliegenpilzpulver in Kapselform, welches ebenfalls über einen Online-Shop vertrieben wird. Die Zusammensetzung der Probe entsprach den Untersuchungen zufolge den Inhaltsstoffen des Roten Fliegenpilzes (Amanita muscaria).
Abb. 3: Foto eines Roten Fliegenpilzes
Dieser Giftpilz enthält die Alkaloide Ibotensäure und das 5- bis 10-mal giftigere Muscimol wie auch schwankende Gehalte an Muscarin. Die Alkaloidgehalte variieren stark, in Abhängigkeit von Umweltfaktoren wie Klima, Pilzstandort usw.
. Dies führt auch dazu, dass eine versprochene oder erwartete Wirkung nur schwer dosiert werden kann.
Der Rote Fliegenpilz ist Auslöser für das sogenannte Fliegenpilz-Syndrom, das durch Unruhe, Kopfschmerzen, Übelkeit, Schweißausbruch und Angst eingeleitet wird und später zwischen Schläfrigkeit und Bewegungsdrang wechselt. Schwere Verlaufsformen umfassen Tobsuchtsanfälle, Krämpfe und Koma
. Siehe dazu auch Abschnitt Gummibonbons mit Muscimol.
Die Etikettierung der untersuchten Probe enthielt die vorgeschriebenen Pflichtangaben für Nahrungsergänzungsmittel, wie z. B. die Verzehrsempfehlung, jedoch gleichzeitig den Hinweis, dass das Produkt nicht verzehrt werden sollte. Die Probe wurde unter anderem aufgrund der vielen gesundheitlichen Risiken als nicht sicheres Lebensmittel beurteilt.
Fazit
Bei Produkten, die eine bewusstseinsverändernde Wirkung versprechen, ist allergrößte Vorsicht geboten. Alle von uns untersuchten und entsprechend ausgelobten Fruchtgummiproben enthielten meist nicht deklarierte psychoaktive Substanzen – von Designerdrogen bis hin zu Opioiden mit Suchtpotential. Besonders gefährlich war dabei das äußere Erscheinungsbild, das die Proben für Kinder und Jugendliche wie harmlose Süßwaren erscheinen lässt und damit gefährliche Verwechslungen ermöglicht.
Das CVUA Stuttgart warnt deshalb ausdrücklich vor dem Verzehr derartiger Produkte.
Schon hinsichtlich der deklarierten Inhaltsstoffe wie Muscimol warnten bereits andere Einrichtungen wie die Österreichische Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit (AGES) vor einem Verzehr
. Nun zeigte sich, dass auch nicht deklarierte Bestandteile dringenden Anlass zur Warnung bieten und zum Teil strafrechtlich relevant sind. Wir empfehlen, derart verdächtige Lebensmittel umgehend bei der zuständigen Lebensmittelüberwachungsbehörde zu melden.
Bildernachweis
Abb. 1: Melisa Güneri, eigene Aufnahme
Abb. 3: Daniela Schneidereit, eigene Aufnahme
Quellen
Übersicht der RASFF-Meldungen mit dem Suchbegriff „muscimol“ (zuletzt aufgerufen am 21.03.2025)
Gummibärchen mit Fliegenpilz-Gift – Rückruf in Rheinland-Pfalz – SWR Aktuell (zuletzt aufgerufen am 21.03.2025)
Giftige Fliegenpilz-Gummibärchen in Wetzlar beschlagnahmt – FAZ Aktuell (zuletzt aufgerufen am 21.03.2025)
Warnung vor Fruchtgummis mit Fliegenpilzgift – Landkreis Gießen (zuletzt aufgerufen am 21.03.2025)
Risiko Pilze - Einschätzung und Hinweise – Informationsbroschüre (zuletzt aufgerufen am 21.03.2025)
Lebensmittelwarnung.de – Meldungen für Suchbegriff „muscimol“ (zuletzt aufgerufen am 21.03.2025)
Angerer VK: „Neue psychoaktive Substanzen in der forensischen Toxikologie: Synthetische Cannabinoide – Eine unendliche Geschichte?“, Dissertation, Albert-Ludwigs-Universität Freiburg im Breisgau, 2017.
Publikation der FDA (U.S. Food & Drug Administration) über Kratom (zuletzt aufgerufen am 21.03.2025)
Rätsch C: „Enzyklopädie der psychoaktiven Pflanzen“, AT Verlag, Aarau/Schweiz, 5. Auflage (2001), S. 366f.
Vorsicht bei Produkten, die Pilzgifte enthalten – AGES (zuletzt aufgerufen am 21.03.2025)
Vorsicht bei Fliegenpilz-Fruchtgummis – AGES (zuletzt aufgerufen am 21.03.2025)