Phthalate in Kindergeldbeuteln

Ein Bericht aus unserem Laboralltag

Dr. Antje Harling

 

Untersuchungen am Chemischen und Veterinäruntersuchungsamt (CVUA) Stuttgart zeigen: Geldbeutel für Kinder können gesundheitlich bedenkliche Weichmacher enthalten.

Schmuckelement.Seit 2007 sind sechs Vertreter aus der Substanzgruppe der Phthalsäureester für die Herstellung von Spielzeug und Babyartikeln gesetzlich verboten. Unsere Untersuchungen zeigen, dass diese Verbote in den meisten Fällen für phthalatfreies Spielzeug sorgen.

 

Andere kindernahe Produkte wie Geldbeutel oder Armbanduhren fallen dagegen immer wieder durch Gehalte dieser für Spielzeug verbotenen Weichmacher auf.

 

Dabei haben Kinder mit diesen Produkten oft einen ähnlich intensiven Kontakt wie mit Spielzeug. Die rechtliche Unterscheidung ist daher im Sinne des vorbeugenden gesundheitlichen Verbraucherschutzes nicht nachvollziehbar.

2012 wurden am CVUA Stuttgart 17 Geldbeutel für Kinder auf ihren Gehalt an Weichmachern analysiert. Von den 12 aus PVC (Weiterführende Informationen zu Weichmachern in PVC - EXTRA) bestehenden Geldbeuteln enthielten 7 den bedenklichen Weichmacher DEHP in Konzentrationen bis zu 18 %, ein Produkt zusätzlich Di(propylheptyl)phthalat (DPHP, 17 %) sowie ein Geldbeutel Diisobutylphthalat (DiBP, 1 %). Die übrigen 4 Geldbeutel aus PVC wurden mit anderen Substanzen wie Citraten, Adipaten, Cyclohexandicarbonsäureestern oder Terephthalsäureestern weichgemacht.

 

Diagramm.

Abbildung: Untersuchungsergebnisse Weichmacher in Kindergeldbeuteln des CVUA Stuttgart aus dem Jahr 2012.

 

Den fehlenden Handlungsdruck für die Hersteller offenbarten auch unsere Analysen von 33 Proben Kinderuhren aus dem Jahre 2011, die an Untersuchungen aus den Vorjahren anknüpften (Internetbeitrag Kinderuhren CVUAS 2009, Internetbeitrag Armbanduhren CVUAS 2011) . Zwanzig der Armbänder (61 %) bestanden aus dem Kunststoff PVC. In 13 dieser 20 PVC-Armbändern (65 %) fanden wir erneut bedenkliche Weichmacher, welche für Spielzeug nach VO (EG) 1907/2006 (REACH) verboten sind. 11 PVC-Uhren (55 %) enthielten DEHP in Mengen von 8 bis 44 g/100g, eine hiervon zusätzlich Di(isononyl)phthalat (DINP) in Höhe von 6 %, zwei Uhren DINP allein mit Gehalten von 7 bzw. 9 %. Bei den alternativ eingesetzten Weichmachern in den Armbändern handelte es sich um Acetyltributylcitrat, Polyadipate, 1,2-Cyclohexan-dicarbonsäure-diisononyl-ester, Diethylhexylterephthalat oder Trimethylpentandioldiisobutyrat.

 

Diagramm.

Abbildung: Untersuchungsergebnisse Kinderuhren aus dem Jahr 2011.

 

Nahe Verwandte - Trend oder Einzelfälle?

Einige Hersteller weichen immer öfter auf strukturell sehr ähnliche, aber nicht explizit verbotene Phthalate wie Diisobutylphthalat (DiBP) oder Dipropylheptylphthalat (DPHP) aus. Jedoch haben auch diese Substanzen gesundheitlich bedenkliche Eigenschaften (weiterführende Informationen - EXTRA). Die amtliche Überwachung wird diese Entwicklung daher kritisch beobachten.

 

Das CVUA Stuttgart zieht Bilanz

Ohne rechtlich bindende Vorschriften sind viele Hersteller selbst bei kindernahen Produkten nicht bereit, auf den Einsatz der gesundheitlich bedenklichen aber billigeren Phthalat-Weichmacher zu verzichten. Alternative Weichmacher gäbe es genügend, wie einige Beispiele zeigen. Der Einsatz strukturverwandter Phthalate wird vom CVUA Stuttgart kritisch beobachtet. Eine ausreichende Sensibilisierung der Verantwortlichen hinsichtlich der toxikologischen Relevanz dieser Stoffe besteht anscheinend nicht . Weitere Untersuchungen und Hinweise sind offensichtlich unerlässlich, um auf den Ersatz der bedenklichen Phthalate in körpernahen Produkten weiter hinzuwirken.

 

Für die Verbraucher stehen alternative Produkte ohne Anteile von PVC zur Verfügung: Kunststoffe wie Polyethylen oder Silikonkautschuk kommen ohne Weichmacher aus. Allerdings sind die Materialien der jeweiligen Produkte für den Verbraucher nicht ohne weiteres zu unterscheiden, da es sich in allen Fällen um weichen und biegsamen Kunststoff handelt. Auch ist das Ausweichen auf Leder eine Möglichkeit, den Phthalaten aus dem Wege zu gehen.

 

EXTRA

Weiterführende Informationen zu Weichmachern in PVC

Beim Kunststoffmaterial Polyvinylchlorid (Kurzzeichen PVC) handelt es sich um ein an sich sehr hartes und sprödes Material. Zur Verwendung für die Herstellung von Geldbeuteln oder Uhrenarmbändern werden ihm Weichmacher in einer Menge von üblicherweise 30 bis über 40 % zugesetzt. Oft wird nicht ein einziger Weichmacher, sondern Mischungen von bis zu 5 Substanzen verwendet. Die kleinen Moleküle setzen sich zwischen die langen Polymerketten und bewirken so, dass sich diese gegeneinander verschieben können. Dadurch werden diese Produkte weich, flexibel und dehnbar. Weichmacher sind im Kunststoff nicht fest, der Chemiker spricht von „nicht kovalent“, gebunden und können deshalb bei intensivem Hautkontakt über den Schweiß durch die Haut aufgenommen werden.

 

Abbildung.

 

Weichmacher können aus einer ganzen Reihe chemischer Substanzen bestehen, beispielsweise Phthalate, Adipate oder Citrate. Vor allem die häufig als Weichmacher verwendeten Phthalate sind aufgrund gesundheitlicher Aspekte in die Diskussion gekommen.

Daher wurden im Jahr 2007 drei Phthalate, nämlich Di-(2-ethylhexyl)phthalat (DEHP), Dibutylphthalat (DBP) und Benzylbutylphthalat (BBP), für Spielzeug und Babyartikel generell verboten. Drei weitere Phthalate (Di “isononyl“- (DINP), Di “isodecyl“- (DIDP) und Di-(n-octyl)phthalat (DNOP)) sind in Spielzeug und Babyartikeln verboten, die von Kindern in den Mund genommen werden können (VO (EG) 1907/2006, REACH-Verordnung). zurück

 

Isomere der nach REACH verbotenen Phthalate: unbedenklich?

Einige Hersteller weichen immer öfter auf isomere -aber nicht explizit verbotene- Phthalate wie Diisobutylphthalat (DiBP) oder Dipropylheptylphthalat (DPHP) aus.

 

DiBP (CAS Nr.: 84-69-5) ist ein fortpflanzungsgefährdender Stoff und wurde in die Kandidatenliste von REACH (Anhang XIV) aufgenommen. Ab 21.2.2015 ist die Verwendung dieses Stoffes verboten, sofern - und das ist zu erwarten - keine Zulassung erteilt wurde.

DPHP (CAS-Nr. 53306-54-0) ist ein einzelnes Isomer des verbotenen Di"isodecyl"phthalats (DIDP). Das BfR bewertet seine Verwendung in Kinderprodukten als nicht ausreichend sicher (BfR-Stellungnahme Nr. 004/2012 vom 28. Juni 2011, www.bfr.bund.de). Die amtliche Überwachung wird dieses Ausweichen auf strukturverwandte Phthalate weiterhin kritisch beobachten. zurück

 

Strukturformeln.

Abbildung: Chemische Strukturen DBP (verboten) und DiBP (Isomer), DPHP (ein einzelnes Isomer von DIDP)

 

Bildernachweis

Getty Images 104304699

 

Artikel erstmals erschienen am 06.09.2012