Wie sehr sind Lebensmittel in Dosen mit Bisphenol A belastet? Ein kurzes Update

Dr. Roland Perz

 

Seit die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit das vielseitig verwendete Bisphenol A für wesentlich gesundheitsschädlicher als bisher einstufte, ist ein Verwendungsverbot bei Lebensmittelkontaktmaterialien in Vorbereitung. Ausgehend vom heutigen Stand muss sich bei vielen Lebensmitteln in Konserven noch einiges ändern.

 

Gefahr erkannt – Gefahr gebannt?

Lang haltbare Lebensmittel in Konservendosen aus Metall sind praktisch. Zum Schutz vor Korrosion bzw. vor dem Übergang von Metallionen auf die Lebensmittel werden die Dosen üblicherweise mit einem Innenlack versehen, der heute noch in den meisten Fällen aus einem Epoxidharz auf der Basis von Bisphenol A (BPA) hergestellt wird. Nach der Neubewertung dieser Substanz durch die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) als besonders besorgniserregenden Stoff im Jahr 2023 [1, 2] (s. Infokasten) ist ein Verordnungsentwurf [3] erarbeitet worden, der die absichtliche Verwendung von BPA in Lebensmittelkontaktmaterialien verbieten soll [4]. Aber zum einen ist das Verbot noch nicht rechtskräftig, zum anderen werden lange Übergangsfristen und zudem Ausnahmen vorgesehen. So soll beispielsweise Bisphenol A-diglycidylether (BADGE) für die Herstellung von Innenbeschichtungen für Großtanks und Rohrleitungen in der Produktion weiterhin verwendet werden dürfen, solange kein freies BPA nachweisbar ist bzw. auf das Lebensmittel übergeht.

 

Ein Problem in Dosen?

Seit mehr als einem Jahrzehnt verfolgen wir nun die Gehalte an BPA und seinen Derivaten (= Abkömmlingen) in eingedosten Lebensmitteln (s. Beitrag v. Februar 2022: Jetzt geht’s um die Dosenwurst!). Noch gilt für BPA der alte Grenzwert von 50 µg/kg (= 0,05 mg/kg) Lebensmittel [5].

 

Vor 2018 lag der BPA-Grenzwert noch weitaus höher, nämlich bei 600 µg/kg Lebensmittel. Der in Abb. 1 mit der roten Kurve dargestellte Anteil an Proben über einem BPA-Gehalt von 50 µg/kg lag damit für die Jahre 2016 und 2017 mit jeweils etwa einem Fünftel der untersuchten Proben überwiegend noch unter dem damals geltenden Grenzwert. Diese Proben waren somit nicht zu beanstanden.

 

Der aktuell geltende Grenzwert in Höhe von 50 µg/kg wurde in den letzten Jahren selten überschritten. Wie man Abb. 1 entnehmen kann, liegt der Anteil heute praktisch bei null. Doch das wird nach der zu erwartenden neuen Rechtslage nicht mehr ausreichend sein.

 

Abb. 1: Nach Untersuchungsjahr aufgeschlüsselte Anteile an belasteten Proben.

Abb. 1: Nach Untersuchungsjahr aufgeschlüsselte Anteile an belasteten Proben: rote untere Kurve: Anteil der Proben mit BPA > 50 µg/kg; blaue mittlere Kurve: Anteil der Proben mit messbaren BPA-Gehalten; graue obere Kurve: Anteil der Proben mit messbaren BPA- oder BPA-Derivat-Gehalten. Die geringen Anteile im Jahr 2015 gehen darauf zurück, dass hauptsächlich Senf, Remoulade und Tomatenmark in Tuben untersucht wurden, die andere Beschichtungen als Epoxidharze aufweisen.

 

Da die EFSA mit ihrem toxikologischen Dossier [2] die duldbare Tagesdosis an BPA um den Faktor 20.000 senkte (s. Infokasten), würde man eine entsprechende Absenkung des Grenzwertes erwarten. Allerdings ließe sich dieser nicht überwachen, weil selbst mit modernsten Analysegeräten derart kleine Konzentrationen routinemäßig nicht messbar sind. Daher steht das generelle Verwendungsverbot im Raum.

 

Wir haben für die zukünftige Sicht der Dinge nun alle Proben als belastet gezählt, die oberhalb der Nachweisgrenze liegen. Diese liegt je nach Lebensmittelart zwischen 2 und 6 µg/kg. Das heißt, würde das BPA-Verbot schon gelten, wären rückwirkend betrachtet mindestens der in Abb. 1 mit der blauen Kurve beschriebene Anteil der Proben problematisch, also zwischen 30 und 88 %, zuletzt 2024 rund 33 %. Gemittelt über die letzten 5 Jahre erwies sich so gesehen jede zweite Dose (51 %) als mit freiem BPA belastet.

 

Wie viel BPA steckt drin?

Abb. 2 zeigt den Verlauf für die letzten 5 Jahre, wie viel BPA maximal (blaue Kurve) bzw. durchschnittlich (grüne Kurve) in den Proben nachzuweisen war. Während 2020 und 2021 noch einzelne Proben auftraten, die fast 300 µg/kg enthielten, war zuletzt der Maximalwert bei 21 µg/kg. Aussagekräftiger als die Extremwerte sind hier die Durchschnittswerte, die von 21 µg/kg im Jahr 2020 auf 4 µg/kg in diesem Jahr gesunken sind. Dabei wurden jährlich zwischen 27 und 90 Proben (im Mittel 58 Proben) untersucht.

 

Abb. 2: Nach Untersuchungsjahr angegebene Maximalgehalte an BPA bzw. Mittelwerte.

Abb. 2: Nach Untersuchungsjahr angegebene Maximalgehalte an BPA (obere blaue Kurve) bzw. Mittelwerte (untere grüne Kurve) in µg/kg Lebensmittel; rot gestrichelt: der heute noch gültige Grenzwert (spezifisches Migrationslimit für BPA)

 

Gibt es BPA-freie Dosen?

Wir haben durchaus Proben gefunden, die zwar mit Epoxidharz beschichtet, aber dennoch nach heutigem Stand der Analytik BPA-frei waren (s. Abb. 1, Bereich zwischen blauer und grauer Kurve). Die Vermeidung frei auftretenden Bisphenols ist also technologisch innerhalb gewisser Grenzen möglich. In den meisten dieser Fälle fanden wir jedoch andere BPA-Derivate wie Hydrolyseprodukte von BADGE oder Cyclo-di-BADGE. Im Durchschnitt der letzten 5 Jahre war dies bei 69 % der Dosen der Fall. Da man bis heute nicht eindeutig weiß, ob diese Derivate im Körper nicht doch noch BPA freisetzen können, soll auch BADGE für die Beschichtung von Gebinden kleiner als 250 Liter tabu sein. Mittelfristig werden also auch diese Dosenanteile vom Markt verschwinden, somit zusammen genommen 2 von 3 der Dosen heutiger Qualität.

 

Es gibt bereits seit Jahren alternative Beschichtungssysteme, die ganz ohne Bisphenole auskommen. Diese neuen Beschichtungssysteme werden den Markt künftig einnehmen. Hier bleibt neben der Frage, ob alle technologischen Anforderungen erfüllt werden, v. a. die Frage nach deren gesundheitlicher Unbedenklichkeit. Daher ist die Sammlung von Daten über deren Vorkommen und die anschließende toxikologische Bewertung durch die EFSA erforderlich.

 

Nutzen der Grenzwerte

Grenzwerte und Verbote können immer nur auf der Basis des verfügbaren Wissens, also vom jeweiligen Stand der Wissenschaft abgeleitet werden. Zum einen ändert sich eben diese Wissensbasis, was ja derzeit zur Verschärfung des Umgangs mit BPA führt. Zum anderen handelt der Gesetzgeber (besonders auf europäischer Ebene) nicht nur aus rein gesundheitlichen, sondern auch aus technologischen und wirtschaftlichen Erwägungen heraus.

 

Wir werden in jedem Fall weiterhin die Gehalte von BPA und seinen Derivaten bei in Konservendosen verpackten Lebensmitteln messen, aber auch ein Augenmerk auf die neuen Beschichtungen richten und diese Alternativstoffe ins Untersuchungsspektrum aufnehmen.

 

Infokasten

Das kommende BPA-Verbot und sein Hintergrund

Aufgrund seiner hormonähnlichen (insbesondere östrogenähnlichen) Wirkungsweise wurde Bisphenol A von der Europäischen Chemikalienagentur (ECHA) als besonders besorgniserregende Substanz (Substance of Very High Concern = SVHC) eingestuft [6]. Weil solche Stoffe die Regulation von Prozessen im Körper stören, können sie Schäden verursachen, die entweder einzelne Organe, das Immunsystem oder den Stoffwechsel betreffen. Man bezeichnet sie daher auch als endokrine Disruptoren (=„hormonelle Störer“).

 

Die akute Giftigkeit von BPA ist zwar gering, aber bei einer chronischen (langfristigen) Aufnahme zeigten sich in Studien verschiedene negative gesundheitliche Effekte, wie etwa Beeinträchtigung des Immunsystems, des Nervensystems, des Stoffwechsels sowie der Fortpflanzung und Entwicklung.

 

Insbesondere aufgrund einer Studie an Mäusen wurde die bisherige vorläufig duldbare tägliche Aufnahmemenge (TDI) von 4 Mikrogramm je Kilogramm Körpergewicht auf 0,2 Nanogramm je Kilogramm Körpergewicht reduziert, also um den Faktor 20.000. In dieser Studie zeigten Nachkommen von Muttertieren, denen BPA ins Futter gegeben wurde, eine erhöhte Zahl eines speziellen Typs von T-Helferzellen des Immunsystems.

 

Die Relevanz solcher Studienergebnisse ist umstritten. So sind die Toxikologen am Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) anderer Meinung. Das BfR hat zwar auch eine Reduzierung des TDI vorgeschlagen, aber in weitaus geringerem Umfang von Faktor 20 statt 20.000 [7]. Hier sind sich die Fachleute auffallend uneinig.

 

Bildernachweis

Abbildungen: CVUA Stuttgart

 

Quellen

[1] Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA): Bisphenol A in Lebensmitteln stellt ein Gesundheitsrisiko dar, veröffentlicht am 19.04.2023, (aufgerufen am 25.10.2024)

 

[2] Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA): Re-evaluation of the risks to public health related to the presence of bisphenol A (BPA) in foodstuffs, (aufgerufen am 25.10.2024)

 

[3] Europäische Kommission: Lebensmittelsicherheit – Beschränkungen für Bisphenol A (BPA) und andere Bisphenole in Lebensmittelkontaktmaterialien, Entwurf eines Rechtsakts (aufgerufen am 25.10.2024)

 

[4] Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft: Bisphenol A, Artikel vom 09.02.2024, (aufgerufen am 07.11.2024)

 

[5] VO (EU) 2018/213: Verordnung (EU) 2018/213 der Kommission vom 12. Februar 2018 über die Verwendung von Bisphenol A in Lacken und Beschichtungen, die dazu bestimmt sind, mit Lebensmitteln in Berührung zu kommen, und zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 10/2011 hinsichtlich der Verwendung dieses Stoffes in Lebensmittelkontaktmaterialien aus Kunststoff (ABl. L 41/6)

 

[6] European Chemicals Agency: Substance Infocard 4,4‘-isopropylidendiphenol, (aufgerufen 25.10.2024)

 

[7] Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR): Stellungnahme Nr. 018/2023 vom 19. April 2023, (aufgerufen am 25.10.2024)

 

Artikel erstmals erschienen am 11.11.2024