Rückstände und Kontaminanten – so werten wir aus
Ein Bericht aus unserem Laboralltag
Ellen Scherbaum
Seit 2003 veröffentlicht das CVUA Stuttgart Auswertungen zu Pestizidrückständen in pflanzlichen Lebensmitteln im Internet. Diese Auswertungen sind immer wieder Anlass zu Anmerkungen und Kommentaren bis hin zu Aufforderungen die Ergebnisse in anderer Form darzustellen. Die Aufarbeitung von über 2 Mio. Datensätzen pro Jahr ist komplex, da viele Faktoren berücksichtigt werden müssen. Im Folgenden erklären wir unsere Vorgehensweise.
Rückstände an Pestiziden oder Kontamination, was ist was?
Wir untersuchen auf Pestizidrückstände und Kontaminanten. Dabei halten wir uns bei der Einsortierung an die gesetzlichen Definitionen, die aus den im Infokasten genannten Rechtstexten hervorgehen.
Infokasten
„Pestizidrückstände“
VO (EG) Nr. 396/2005 (kurz: VO 396/2005):
Rückstände, auch von derzeit oder früher in Pflanzenschutzmitteln im Sinne von Artikel 2 Nummer 1 der Richtlinie 91/414/EWG verwendeten Wirkstoffen und ihren Stoffwechsel- und/oder Abbau- bzw. Reaktionsprodukten, die in oder auf den … Erzeugnissen vorhanden sind, darunter auch insbesondere die Rückstände, die von der Verwendung im Pflanzenschutz, in der Veterinärmedizin und als Biozidprodukt herrühren können .
Rückstandshöchstmengen-Verordnung (RHmV):
Das nationale Recht, die RHmV gilt weiterhin für Bereiche, die nicht von der VO 396/2005 abgedeckt werden. Beispiele sind Piperonylbutoxid (Synergist) oder DEET (Repellent). Auch für diese Stoffe gelten Höchstmengen und sie zählen zu der Anzahl der Pestizidrückstände in unseren Berichten.
In unseren Berichten werden als „Rückstände“ bezeichnet: Stoffe, die aus einer Anwendung als
- Pflanzenschutzmittel
- Vorratsschutzmittel
- Nacherntebehandlungsmittel
- Biozid
- Repellent u.a.
in Lebensmittel gelangen können. Pflanzenschutz ist nur eines der möglichen Einsatzfelder. Diese Stoffe werden wegen ihrer Wirkung unter anderem gegen
- Insekten (Insektizide)
- Unkräuter (Herbizide)
- Bakterien (Bakterizide)
- Pilze (Fungizide)
- Schnecken (Molluskizide)
- Nematoden (Nematizide)
eingesetzt. Es sind "...zide" und werden unter dem Sammelbegriff "Pestizide" zusammengefasst. Sie werden wegen ihrer Wirkung einer toxikologischen Bewertung unterzogen und zum Schutz des Verbrauchers mit Höchstmengen belegt. Praktisch heißt das, jeder Stoff, der in der „list of active substances“ der EU aufgeführt wird, ist ein Pestizid im Sinne der VO 396/2005.
Dabei gilt „einmal Pestizid immer Pestizid“. Eine aktuelle Anwendung muss daher nicht vorliegen (siehe Definition im Infokasten). In diesem Fall wird der Stoff zu der Anzahl der Pestizidrückstände in unseren Berichten gezählt.
Infokasten
VO (EWG) Nr. 315/93 (kurz: VO 315/93): „Kontaminant“
Als Kontaminant gilt jeder Stoff, der dem Lebensmittel nicht absichtlich hinzugefügt wird, jedoch als Rückstand der Gewinnung (einschließlich der Behandlungsmethoden in Ackerbau, Viehzucht und Veterinärmedizin), Fertigung, Verarbeitung, Zubereitung, Behandlung, Aufmachung, Verpackung, Beförderung oder Lagerung des betreffenden Lebensmittels oder infolge einer Verunreinigung durch die Umwelt im Lebensmittel vorhanden ist.
Es darf kein Lebensmittel in den Verkehr gebracht werden, das einen Kontaminanten in einer gesundheitlich und insbesondere toxikologisch nicht vertretbaren Menge enthält. Die Kontaminanten sind ferner auf so niedrige Werte zu begrenzen, wie sie durch gute Praxis auf allen … Stufen sinnvoll erreicht werden können.
Kontaminanten sind nicht in der „list of active substances“ aufgeführt und für sie sind nur im Einzelfall Höchstmengen festgesetzt. Sie zählen nicht zu den Pestizidrückständen und unterliegen nach der VO 315/93 dem Minimierungsgebot.
Für unsere Berichte heißt das, dass solche Stoffe getrennt ausgewertet werden. Sie werden nicht in die Anzahl der Pestizide pro Probe eingerechnet.
Ein Beispiel, das immer wieder für Diskussionen sorgt, ist Chlorat bzw. Perchlorat. Chlorat wurde früher als Totalherbizid eingesetzt und fällt daher auch heute noch in den Geltungsbereich der VO 396/2005, auch wenn die jetzt in Lebensmitteln bestimmten Gehalte nicht aus einer Anwendung als Herbizid stammen. Anders Perchlorat: Dieser Stoff ist eine Verunreinigung zum Beispiel aus Dünger, er war nie als Pestizid eingesetzt und fällt daher in die Kategorie Kontaminant. Laut Gesetz und in unseren Berichten zählt Chlorat daher zu den Pestiziden, Perchlorat dagegen nicht.
Wir haben intern unzählige Male diskutiert, ob wir Chlorat entgegen der gesetzlichen Definition bei den Pestiziden „herausrechnen“ sollten. Es gibt jedoch weitere Fälle, die dann auch „herausgerechnet“ werden müssten: z.B. Nikotin, wenn es aus einer Kontamination durch Zigarettenrauch kommt, Hexachlorbenzol, wenn es eine Altlast aus dem Boden ist etc. Der Gesetzgeber wollte mit der „Pestizid“-Definition gerade vermeiden, dass die Herkunft des Rückstandes ermittelt werden muss. Die Höchstmengen gelten, egal woher der Stoff kommt. Deshalb halten wir uns in unseren Auswertungen an die gesetzlichen Definitionen. Alles andere würde zu noch mehr Unsicherheit und Diskussionen führen.
Summenhöchstmengen nach der VO 396/2005
Für eine ganze Reihe von Pestiziden wird in der VO 396/2005 eine sogenannte Summen-Höchstmenge festgesetzt. In diesen Fällen werden sogenannte relevante Metabolite (Abbau- und Umwandlungsprodukte) und in manchen Fällen auch Konjugate mit geregelt. Ein Beispiel für eine Summenhöchstmenge ist das Insektizid Fenthion. Die Höchstmenge ist festgesetzt für die Summe aus Fenthion sowie den Metaboliten Fenthion-sulfoxid, Fenthion-sulfon, Fenthion-oxon, Fenthion-oxon-sulfoxid und Fenthion-oxon-sulfon berechnet als Fenthion.
Wird für einen Stoff eine Summenhöchstmenge definiert, so zählt die Gruppe lediglich als ein Stoff bei der Anzahl der Wirkstoffe und lediglich der Gehalt für die Summe wird in den mittleren Gehalt eingerechnet. In Anlage 1 sind die Summenhöchstmengen aufgeführt, die wir 2016 berücksichtigt haben.
Spezialfälle
Bromid ist das Abbauprodukt des Begasungsmittels Methylbromid. Bromid kommt jedoch auch natürlich vor. Bei Gehalten ab 5 mg/kg Probe geht man von einer Anwendung von Methylbromid aus. Bromid wird deshalb in unseren Auswertungen nur als positiv gewertet und als Rückstand gezählt wenn der Gehalt größer als 10 mg/kg ist. (d.h. der Wert ist unter Berücksichtigung einer analytischen Streubreite von 50 % gesichert über 5 mg/kg).
Dithiocarbamate sind eine Gruppe von Fungiziden, die weitverbreitet eingesetzt werden. Bestimmt werden sie nach Hydrolyse als Schwefelkohlenstoff. So sind auch die Höchstwerte definiert. Schwefelkohlenstoff entsteht jedoch bei Kohlarten und Papayas auch aus Pflanzeninhaltsstoffen. Dithiocarbamatbefunde in diesen Matrixarten werden daher in unseren Berichten nicht als Rückstände berücksichtigt.
Bei Öko – wieder alles anders!
Bei Öko-Lebensmitteln dürfen chemisch-synthetische Pflanzenschutzmittel nicht eingesetzt werden. In der Regel enthalten Öko-Lebensmittel deshalb keine oder nur Spuren von Pestiziden. Für Öko-Lebensmittel gibt es keine eigenen Höchstmengen. Für die Beurteilung wird ein Orientierungswert von 0,01 mg/kg herangezogen. Liegt ein Rückstand über diesem Schwellenwert, kann dies auf eine verbotene Anwendung, eine Kreuzkontamination oder ein Vermischen mit konventioneller Ware hindeuten. In diesen Fällen erstellen wir ein Gutachten und beurteilen die Bezeichnung „Öko“ als irreführend. Bei unseren Untersuchungen und Berichten geht es uns also darum festzustellen, in welchem Umfang die Regeln der Öko-Verordnung (ÖkoV) eingehalten werden und die Bezeichnung „Öko“ damit rechtmäßig ist.
In Auswertungen zum Thema Öko wird in unseren Berichten unterschieden zwischen Rückständen unterhalb des Schwellenwertes von 0,01 mg/kg und Rückstandsgehalten die darüber liegen.
Natürliche Pestizide, die nach der ÖkoV zugelassen sind, werden als konform mit einem ökologischen Anbau angesehen und getrennt aufgeführt. Sie werden nicht in die Rückstände an chemisch-synthetischen Pestiziden eingerechnet.
Genauso werden Stoffe behandelt, die über eine Kontamination in die Probe gelangen, z.B. Chlorat. Diese Sachverhalte werden gesondert dargestellt, jedoch nicht als Abweichung von den Vorschriften der ÖkoV eingestuft.
Fazit
Im konventionellen Anbau werden in der Regel chemisch-synthetische Pflanzenschutzmittel eingesetzt. Zum Schutz des Verbrauchers wurden für diese Stoffe in der VO 396/2005 EU-weit gültige Höchstmengen festgesetzt. Alle Stoffe, die unter diese VO fallen, werden in unseren Berichten als Pestizidrückstände angesehen.
Kontaminanten, die nicht in den Bereich der VO 396/2005 fallen, werden getrennt ausgewertet.
Bei Auswertungen zum Thema ökologischer Anbau geht es darum festzustellen, ob die Vorschriften der ÖkoV eingehalten werden. In diesen Fällen wird unterschieden zwischen chemisch-synthetischen Pflanzenschutzmitteln, die im Öko-Anbau nicht zugelassen sind, und zugelassenen natürlichen Stoffen. Weiterhin wird zur Beurteilung ein Schwellenwert von 0,01 mg/kg herangezogen. Lediglich Rückstände oberhalb dieses Schwellenwertes werden als auffällig angesehen und in Gutachten beanstandet.
Uns ist bewusst, dass je nach Fragestellung und Interessenlage eine andere Auswertung wünschenswert sein könnte. Wir brauchen jedoch eine klare Linie, schließlich sollen die Berichte von einem Jahr auf das nächste noch vergleichbar sein und z.B. Obst nicht anders ausgewertet werden als Gemüse.
Anlagen