Aprikosenkerne – Gesundheitsrisiken durch Blausäure
Kleefeldt, J.
Im Zentrallabor für Ölsamen am Chemischen und Veterinäruntersuchungsamt Sigmaringen wurden schwerpunktmäßig Aprikosenkerne untersucht. Jede Probe war aufgrund eines zu hohen Gehaltes an Blausäure zu beanstanden. Die Beanstandungsquote lag damit bei 100 %.
Aprikosenkerne enthalten als natürlichen Inhaltsstoff Amygdalin in hohen Mengen. Amygdalin ist ein cyanogenes Glykosid (Blausäureglykosid), das durch enzymatische Hydrolyse (Spaltung der chemischen Bindungen) in einer mehrstufigen Reaktion zu Glucose, Benzaldehyd und Blausäure aufgespalten wird. Beim Kauen oder während des Verdauungsprozesses läuft dieser Vorgang ab, mit der Folge, dass Blausäure freigesetzt wird. Bei Aprikosenkernen erfolgt diese Umsetzung im Organismus sehr schnell und vollständig, was zu einem relativ hohen Blausäure-Spiegel und damit durch die hohe Toxizität zu akuten Vergiftungen führen kann.
Um das gesundheitliche Risiko durch rohe Aprikosenkerne zu reduzieren, hat die Europäische Union erstmals einen Höchstgehalt für Blausäure in unverarbeiteten ganzen, geriebenen, gemahlenen, geknackten oder gehackten Aprikosenkernen, die für Endverbraucher in Verkehr gebracht werden, durch die Verordnung (EU) 2017/1237 zur Änderung der Verordnung (EU) 1881/2006 festgelegt. Nach Abschnitt 8 (pflanzeneigene Toxine) Nr. 8.3 des Anhangs der VO (EG) 1881/2006 beträgt der zulässige Höchstgehalt für Blausäure in diesen Aprikosenkernen maximal 20 mg pro kg Aprikosenkerne.
Das Chemische und Veterinäruntersuchungsamt Sigmaringen (CVUA) hat in einer Schwerpunktaktion Aprikosenkerne untersucht. Sämtliche Proben wiesen Blausäuregehalte auf, die - teilweise sogar drastisch - über dem Grenzwert lagen. Somit wurden alle untersuchten Proben wegen der Grenzwertüberschreitung als nicht verkehrsfähig beurteilt, um dann die Aprikosenkerne vom Markt nehmen zu können. Die Untersuchungsergebnisse sind in der nachfolgenden Tabelle aufgeführt.
Untersuchungsergebnisse
Info
Rohe, bittere Aprikosenkerne weisen von Natur aus sehr hohe Gehalte an gebundener Blausäure (Cyanwasserstoff, HCN) auf. Diese liegen in Bereichen zwischen ca. 2000 und 3000 mg pro kg. Sogenannte süße Aprikosenkerne enthalten deutlich weniger gebundene Blausäure. Jedoch nach Erfahrungen des CVUA Sigmaringen immer noch in einer Größenordnung von bis ca. 200 mg pro kg Produkt. In der Vergangenheit konnte sogar ein Spitzenwert von bis zu 400 mg pro kg gemessen werden. Die Ursache für diesen auffällig hohen Gehalt konnte nicht geklärt werden.
Bittere Aprikosenkerne werden u.a. in der Alternativmedizin zur Vorbeugung vor und zur Behandlung von Tumorerkrankungen verwendet. Der behauptete Wirkmechanismus ist allerdings wissenschaftlich nicht gesichert. Es gibt keine wissenschaftlich fundierten Nachweise einer therapeutischen Wirksamkeit.
Die durchschnittliche tägliche Aufnahmemenge von Blausäure durch Lebensmittel oder Aromen beträgt etwa 0,8 , die hohe tägliche Aufnahmemenge 5,4 µg pro kg Körpergewicht je Tag. Sehr hohe Dosen von Vielverzehrern liegen bei etwa 30 µg pro kg Körpergewicht je Tag.
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat eine duldbare tägliche Aufnahmemenge in Höhe von 12 µg Cyanid (CN-) pro kg Körpergewicht abgeleitet . Studien zufolge können schon 0,5 bis 3,5 mg Cyanid (CN-) pro kg Körpergewicht tödlich sein.
Die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) hat für die Risikobewertung von Blausäure eine Humanstudie durchgeführt und leitete daraus eine akute Referenzdosis (ARfD) von 20 µg Cyanid (CN-) pro kg Körpergewicht ab . Die akute Referenzdosis ist von der WHO als die Substanzmenge definiert, die pro Kilogramm Körpergewicht über die Nahrung mit einer Mahlzeit oder innerhalb eines Tages ohne erkennbares Risiko aufgenommen werden kann. Eine Ausschöpfung der ARfD von mehr als 100 % bedeutet zwar nicht zwangsläufig eine konkrete Gesundheitsgefährdung. Sie zeigt aber an, dass ein mögliches Risiko mit der geforderten Sicherheit nicht mehr auszuschließen ist.
Amygdalin selbst ist relativ wenig toxisch. Blausäure, die durch Kauen der Aprikosenkerne aus dem Amygdalin freigesetzt wird, ist dagegen ein starkes Gift, das beim Menschen zu Vergiftungen bis zum Tod führen kann. Symptome einer Blausäurevergiftung sind z.B. starke Kopfschmerzen, Schwindel, Übelkeit, Erbrechen, Herzrasen, Erstickungsgefühl sowie Bittermandelgeruch der Ausatemluft. Im Extremfall kann eine Blausäurevergiftung zum Tode führen.
Für Erzeugnisse aus verarbeiteten Aprikosenkernen, wie z.B. Persipan, hat der Gesetzgeber einen Grenzwert von 50 mg Blausäure pro kg Erzeugnis festgelegt. Dieser Grenzwert ist deutlich höher als für rohe Aprikosenkerne, da die zur Cyanidfreisetzung nötige ß-Glukosidase im Produktionsprozess weitgehend zerstört wird.
Ausblick
Die EFSA befasst sich derzeit mit dem Vorkommen von cyanogenen Glykosiden in anderen Lebensmitteln. Dabei stehen momentan Leinsamen im Fokus der wissenschaftlichen Diskussionen. Das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) ist hierfür unter anderem mit Bioverfügbarkeitsstudien betraut. Das Chemische und Veterinäruntersuchungsamt Sigmaringen ist zu diesem Zweck mit der Untersuchung auf Blausäure in Leinsamen beteiligt.
Rechtsverordnungen
VO (EG) 1881/2006: Verordnung (EG) Nr. 1881/2006 der Kommission vom 19. Dezember 2006 zur Festsetzung der Höchstgehalte für bestimmte Kontaminanten in Lebensmitteln (ABl. L 364/5), zuletzt geändert durch die Verordnung (EU) Nr. 2017/1237 vom 07. Juli 2017 (ABl. L 177/36)
VO (EU) 2017/1237: Verordnung (EU) Nr. 2017/1237 der Kommission vom 07. Juli 2017 zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 1881/2006 in Bezug auf den Höchstgehalt an Blausäure in unverarbeiteten ganzen, geriebenen, gemahlenen, geknackten oder gehackten Aprikosenkernen, die für Endverbraucher in Verkehr gebracht werden (ABl. L 177/36).
Abkürzungen
ARfD → akute Referenzdosis
EFSA → Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit
WHO → Weltgesundheitsorganisation
BfR → Bundesinstitut für Risikobewertung
µg → Mikrogramm (1 µg = 0,001 mg)
mg → Milligramm (1 mg = 0,001 Gramm)
kg → Kilogramm (1 kg = 1000 Gramm)
Literatur
- The EFSA Journal (2004), 105, Seite 1 – 28
- WHO Guidelines for Drinking-water Quality (WHO, 2003); Hydrogen Cyanide and Cyanides: Human Health aspects (WHO, 2004);
- The EFSA Journal (2016), 14 (4); 4424: Acute health risks related to the presence of cyanogenic glycosides in raw apricot kernels and products derived from raw apricot kernels
- gemeinsames Dokument der EFSA, EFET und des BfR vom 22.04.2016: acute health risks related to consumption of raw apricot kernels and products thereof