Baden-Württemberg

Chemisches und Veterinäruntersuchungsamt Sigmaringen

„Kaltgepresst", oder was?

Birgitt Salzmann, Kristin Aechtler (CVUA Sigmaringen), Johannes Keller, Manuela Mahler (CVUA Karlsruhe)

 

Die Angabe „Kaltgepresst“ wird vermehrt im Zusammenhang mit Getränken aus dem Kühlregal verwendet. Aber was steckt dahinter? Geht es um eine besondere Temperaturführung beim Saftpressvorgang oder bei anderen Herstellungsschritten oder ist es eine Worthülse, die aus anderen Produktsegmenten positiv belegt ist? Die Anwendung eines besonderen Haltbarmachungsprozesses dürften die wenigsten Verbraucherinnen und Verbraucher mit dieser Angabe verbinden.

 

 

Seit dem Jahr 2017 fällt die Werbeaussage „kaltgepresst“ auf bestimmten Verpackungen von Fruchtsäften, Smoothies und Erfrischungsgetränken aus dem Kühlregal auf. Zunächst meist bei Produkten, die wahrscheinlich durch eine Hochdruckbehandlung haltbar gemacht wurden.

 

ORANGENSAFT

Abb. 1 Orangensaft aus dem Kühlregal

 

Infokasten

Hochdruckbehandlung – HPP (High Pressure Processing) – Was ist das?
Die Hochdruckbehandlung wird bei bestimmten Lebensmitteln alternativ zur Hitzebehandlung (Pasteurisation) eingesetzt, um die Haltbarkeit zu verbessern. Bei ca. 6000 bar werden in PET Flaschen abgefüllte Getränke in einem mit Wasser gefüllten Behälter unter Druck gesetzt. Das Wasser überträgt den Druck auf den gesamten Behälter und es erfolgt eine gleichmäßige Kraftübertragung von allen Seiten. Dabei erwärmt sich auch das Getränk. Als Faustregel kann ein Temperaturanstieg von ca. 3 °C je 1000 bar (bezogen auf Wasser) angenommen werden. Mit der Entspannung am Ende des Prozesses kühlen sich die Produkte wieder auf die Anfangstemperatur ab. Durch die Druckbehandlung werden Enzyme, Membranen und Zellbestandteile beschädigt bzw. verändert, so dass viele Viren, Hefen und Bakterien mit dem HPP-Verfahren abgetötet werden. Eine vollständige Abtötung aller vermehrungsfähigen Keime sowie eine vollständige Inaktivierung von Enzymen, wie bei der Pasteurisation, die üblicherweise bei mindestens 80 °C erfolgt, wird jedoch nicht erreicht [1].

 

Pflicht zur Kenntlichmachung bei Anwendung des HPP Verfahrens

Ebenso wie Fruchtsäfte, die kein Verfahren der Haltbarmachung erfahren haben oder nur teilpasteurisiert wurden, werden auch HPP-behandelte Fruchtsäfte im Kühlregal angeboten. Die gleichen Angebotsbedingungen assoziieren bei den Verbrauchern, dass auch hier frische Fruchtsäfte, d. h. Erzeugnisse ohne haltbarmachende Behandlung, vorliegen. Um zu vermeiden, dass die Verbraucher getäuscht werden, muss die HPP-Behandlung daher in geeigneter Weise kenntlich gemacht werden. Die Lebensmittelinformationsverordnung (LMIV) [2] schreibt vor, dass die Bezeichnung eines Lebensmittels durch Angaben zur besonderen Behandlung zu ergänzen ist, sofern die Unterlassung einer solchen Angabe geeignet wäre, den Verbraucher irrezuführen.
Im Zusammenhang mit der häufig gleichzeitig verwendeten Auslobung der ↗ "Frische" könnte der Verbraucher fälschlicherweise annehmen, dass es sich beim Produkt um einen Frischsaft handelt, der keinerlei Behandlung zur Haltbarmachung erfahren hat (siehe Abb. 2 und 5).

 

Kaltgepresster Frischsaft

Abb. 2 Kaltgepresster Frischsaft?

 

 

Nach Auffassung des Arbeitskreises Lebensmittelchemischer Sachverständiger der Länder (ALS) und des Bundesamtes für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit ist die Angabe „kaltgepresst“ nicht geeignet, eine besondere Behandlung zur Keimreduzierung zu beschreiben [3]. In Anlehnung an die Entscheidung der EU-Kommission zur Genehmigung des Inverkehrbringens von hochdruckpasteurisierten Fruchtzubereitungen (2001/424/EG) [4] wird stattdessen eine Angabe wie z.B. „hochdruckpasteurisiert“ oder „Haltbargemacht durch Hochdruck“ als geeignet angesehen.

 

Unterschiedliches Verständnis der Werbeaussage „kaltgepresst“

Bei wörtlicher Auslegung des Begriffs "kaltgepresst" wäre zu erwarten, dass es sich hier um ein besonderes Pressverfahren handelt, bei welchem die Früchte im Vergleich zu herkömmlich hergestellten Fruchtsäften bei deutlich geringeren Temperaturen gepresst werden. Der Temperaturanstieg des Saftes beim Pressen ist jedoch bei üblichen Pressverfahren ohnehin deutlich geringer als bei der Haltbarmachung durch Pasteurisation.
Der Begriff "kaltgepresst" könnte auch so verstanden werden, dass die Früchte beim Pressen eine geringere Temperatur als üblich aufweisen, indem diese zum Beispiel aus einem Kühllager ausgelagert und im Anschluss direkt (noch kalt) gepresst werden. Eine solche Auslegung wäre im Einzelfall denkbar, jedoch wird gleichzeitig oft mit der Verarbeitung frischer Früchten geworben. In der Regel kann nicht davon ausgegangen werden, dass Früchte aus Kühllagern direkt verwendet wurden. Ungeachtet der Werbung ist die Verarbeitung von kühl oder tiefgekühlt zwischengelagerten Früchten häufig ohnehin die Regel und nicht die Ausnahme.

 

Uneinheitliche Verwendung der Aussage „kaltgepresst“

Auch seitens der Hersteller zeigen die Interpretationen zum Thema „kaltgepresst“ kein einheitliches Bild. So findet sich die Auslobung meist bei Getränken, die mittels HPP-Verfahren haltbar gemacht worden sind (siehe Abb. 3), darüber hinaus aber auch bei Produkten, die keinerlei Haltbarmachung nach der Herstellung erfahren haben (siehe Abb. 4).

 

 

Etikett Mehrfruchtsaft

Abb. 3 "Kaltgepresst" und HPP-behandelt

 

 

 Etikett kaltgepresster Frischsaft

Abb. 4 "Kaltgepresst", aber nicht HPP-behandelt

 

 

Die Aussagen der Betriebe zur Begründung des Werbebegriffs „kaltgepresst“ sind uneinheitlich. Bei der Vielseitigkeit der Argumente hat man zuweilen den Eindruck, dass versucht wird, für getroffene Werbebehauptungen nachträglich eine technologische Rechtfertigung zu finden. So wird auf der einen Seite auf einen Teilprozess der Herstellung abgestellt und ausgeführt, dass für das Entsaften der Früchte spezielle Pressen eingesetzt werden oder dass auf eine Warmenzymierung bei der Saftgewinnung (Prozess zur Klärung und Stabilisierung von Fruchtsäften durch Zusatz von substratspezifischen Eiweißstoffe, die in einem definierten Temperaturbereich gezielt den Abbau von Makromolekülen wie Pektin oder Stärke beschleunigen) verzichtet wird. Weiterhin wird argumentiert, dass die eingesetzte Rohware bei oder vor der Verarbeitung gekühlt war oder dass die Räumlichkeiten gekühlt werden.
Andererseits wird zum Teil auch die Meinung vertreten, dass der Begriff auf den gesamten Herstellungsprozess des Getränks einschließlich der Haltbarmachung zu beziehen sei [5]. Hierbei wird in den Vordergrund gestellt, dass durch den Einsatz des HPP-Verfahrens zur Haltbarmachung insgesamt weniger Hitze auf die Produkte einwirkt als bei herkömmlichem Pasteurisationsverfahren und die schonendere Behandlung eine höhere Qualität des Enderzeugnisses bedeutete.

 

 

 Etikett FRISCH&KALTGEPRESST

Abb. 5 Frisch und kaltgepresst

 

 

Wie sieht die lebensmittelrechtliche Bewertung der Auslobung „kaltgepresst“ aus?

Generell lässt sich sagen, dass, sofern Fruchtsäfte und Erfrischungsgetränke mit der Angabe „kaltgepresst“ beworben werden und die Bedeutung des Begriffs im Unklaren bleibt, die Aussage für den Verbraucher nicht klar und leicht verständlich ist. Daher ist die Angabe als geeignet zur Irreführung zu beurteilen.
Ob die Angabe „kaltgepresst“ durch Erläuterung des Begriffs klargestellt werden kann, um die Gefahr einer Irreführung auszuräumen, hängt auch von der Gesamtaufmachung ab und bleibt bis auf weiteres eine Einzelfallentscheidung, zumindest solange bis es eine gesetzliche Regelung, eine etablierte Verkehrsauffassung oder eine Rechtsprechung zum Sachverhalt gibt.

 

Infokasten

„kaltgepresst“ – eine Werbeaussage mit Täuschungspotential?
Dem Verbraucher ist die Auslobung als „kaltgepresst“ im Zusammenhang mit Olivenölen geläufig. Nach den rechtlichen Vorgaben der EU kann Olivenöl mit der Angabe „erste Kaltpressung“ ausgelobt werden, wenn dieses durch die erste mechanische Pressung bei höchstens 27 °C mit hydraulischer Presse gewonnen wird [6]. Entsprechend formulieren die Leitsätze für Speisefette und Speiseöle den Begriff für diese Produktkategorie allgemein [7].
Durch diese Behandlung unterscheiden sich kaltgepresste Olivenöle in ihrer chemischen Zusammensetzung sowie in ihrem charakteristischen sensorischen Aromaprofil von anderweitig hergestellten Olivenölen. Der Begriff „kaltgepresst“ ist zumindest bei Ölen als Qualitätsbegriff zu werten.
Lebensmittelrechtlich müssen qualitätserhöhende Angaben unmissverständlich sein [8] und dürfen nicht für Durchschnittserzeugnisse am Markt verwendet werden, um nicht als irreführend eingestuft zu werden.
Möglicherweise übertragen die Verbraucherinnen und Verbraucher den Begriff „kaltgepresst“ unbewusst als qualitätserhöhende Angabe auf Fruchtsäfte, ohne dass es für den Begriff in dieser Produktkategorie entsprechende objektive Qualitätsmerkmale gibt. Damit wäre die Angabe „kaltgepresst“ bei Fruchtsäften und Erfrischungsgetränken per se als irreführend zu bewerten..

 

 

Literatur:

[1]  DLG Expertenwissen 2/2017 Hochdruckbehandlung von Lebensmitteln
[2] LMIV - VO (EU) 1169/2011: Verordnung (EU) Nr. 1169/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Oktober 2011 betreffend die Information der Verbraucher über Lebensmittel und zur Änderung der Verordnungen (EG) Nr. 1924/2006 und (EG) Nr. 1925/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates und zur Aufhebung der Richtlinie 87/250/EWG der Kommission, der Richtlinie 90/496/EWG des Rates, der Richtlinie 1999/10/EG der Kommission, der Richtlinie 2000/13/EG des Europäischen Parlaments und des Rates, der Richtlinien 2002/67/EG und 2008/5/EG der Kommission und der Verordnung (EG) Nr. 608/2004 der Kommission (ABl. L 304/18, 2015 ABl. L 50/41), zuletzt geändert durch die Verordnung (EU) 2015/2283 vom 25. November 2015 (ABl. L 327/1)

[3]  Arbeitskreis Lebensmittelchemischer Sachverständiger der Länder und des Bundesamtes für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (ALS), 115. Sitzung vom 21. September bis zum 23. September 2020 in Berlin, Stellungnahme Nr. 2020/09
[4] Entscheidung der Kommission 2001/424/EG vom 23. Mai 2001 zur Genehmigung des Inverkehrbringens von hochdruckpasteurisierten Fruchtzubereitungen gemäß der Verordnung (EG) Nr. 258/97 des Europäischen Parlaments und des Rates (ABl. L 151/42)
[5]   Jahresbericht 2017 der AG Fruchtsaft und fruchtsafthaltige Getränke der Fachgruppe Lebensmittelchemie der GDCH
[6] Durchführungsverordnung (EU) Nr. 29/2012 mit Vermarktungsvorschriften für Olivenöl vom 13. Januar 2012
[7]   Leitsätze für Speiseöle, Neufassung vom 02.07.2020 (BAnz AT 18.08.2020 B3; GMBl 2020 S. 530)
[8] Zipfel/Rathke "Lebensmittelrecht", Loseblatt-Kommentar, Verlag C.H. Beck München zu LMIV Art 7, Rn. 201-215

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Artikel erstmals erschienen am 01.07.2021 07:53:24

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